Einmal, im unruhigen "Suburban War", geht es tatsächlich ums Haareschneiden. Natürlich nur vordergründig, eigentlich werden Lebensentwürfe abgehandelt und die Frage, wie das Altern diese verändert. Es geht um Kriege, die man nicht überleben kann, um Musik, die einen das jeweilige soziale Milieu wählen lässt und um Städte, die so weit entfernt wie Sterne. Herzlich willkommen bei "The Suburbs", dem lang erwarteten dritten Album von Arcade Fire. Der Band, die mit expressiv-eindringlichen Rock-Hymnen zur Konsensband der letzten Dekade schlechthin avancierte. Das kanadische Kollektiv meldet sich mit einer Themenplatte zurück, die vieles vielleicht nicht unbedingt erklärt. Aber gut beschreibt, was die Generation der heute 20- bis 35-Jährigen umtreibt. ~ Jochen Overbeck (teleschau) aufklappen »
"In the suburbs I learned to drive": Win Butler, selbst Vorstadtkind und in Texas aufgewachsen, und seine Mannen steigen schon mit dem ersten Satz des Albums in die Materie ein und bleiben ihr eine gute Stunde lang treu. Zumindest inhaltlich ist "The Suburbs" ein Konzeptalbum, das lässt sich kaum leugnen: Arcade Fire nehmen den Hörer mit auf eine Reise, die geschickt, weil immer ein bisschen an unmittelbaren Realitäten vorbei laufend, das Leben und Sterben in den gleichförmigen Vor- und Satellitenstädten Amerikas der 80er- und 90er-Jahre schildert.
Gefühlvoll singt Butler über die Sehnsucht nach dem guten Leben, über die Kinder in ihren Schulbussen und ihren Drang nach Freiheit (großartig: "Wasted Hours"), über den Fernseher als kleines Fenster zur großen weiten Welt, über Schlaflosigkeit und immer wieder übers Musikmachen. Anwendbar ist das alles als Parabel auf den Untergang der ums Eigenheim gestrickten Lebens- und Gesellschaftsideale der Elterngeneration. Aber auch als Kommentar zur momentanen Finanzkrise, die zumindest in den USA schließlich mit einem Crash auf dem Kreditmarkt für Wohnimmobilien begann.
Musikalisch wird das mit einer Kraft umgesetzt, die sich erst nach einigen Hördurchläufen bemerkbar macht. Statt der unmittelbaren Wucht, die den Vorgänger "Neon Bible" ausmachte, gibt es kanalisierte Energie, die verblüffende Freiräume schafft. Für zurückgenommenes Flirren, für - das erste Mal im Arcade-Fire-Kosmos - zarte Electronica, für vermehrte Wechsel in Tempo und Lautstärke. Natürlich auch für Gitarrenkrach, nachzuhören im rüden "Month Of May", natürlich auch für expressive Geigenparts. Nur besitzen die nicht mehr die Dominanz, die Arcade Fire ihnen früher einräumten, was die Band noch einmal ein Stück weit Richtung Allgemeingültigkeit schiebt.
Arcade Fire auf Deutschlandtournee
31.08., Berlin, Tempodrom
28.11., München, Zenith
29.11., Düsseldorf, Philipshalle