Love Is Overtaking Me

Seit ein paar Jahren haben die Archivare der Popkultur den Vergessenen wiederentdeckt und sind nun dabei, sein vielfältiges Werk schrittweise zu erfassen und neu aufzulegen. "Love Is Overtaking Me", das den 1992 an AIDS verstorbenen Russell mit Cowboyhut im Maisfeld zeigt, weist nun in eine andere Richtung, porträtiert den Metropolenkünstler als Country-affinen Folk- und Pop-Interpreten. Insgesamt 21 unveröffentlichte Songs der Jahre 1974 bis 1986 fördert die unverhoffte Compilation nun zutage. Und auch wenn vieles unfertig, skizzenhaft und beiläufig wirkt, finden sich hier erstaunlich viele Stücke von entwaffnender Originalität.

Zur akustischen Gitarre versuchte sich Russell zu Beginn als Songwriter klassischer Prägung - irgendwo zwischen der Sensibilität Nick Drakes und den lyrischen Leiden eines Townes van Zandt. Doch auch im Verbund mit befreundeten Musikern wie Ernie Brooks, Larry Saltzman oder Jesse Chamberlain ging sein Konzept Wohnzimmer-Pop bestens auf. Im ausgezeichneten Schrammelfolk "Time Away" mag man an den späteren Lo-Fi-Pionier Daniel Johnston denken. Noch erstaunlicher sind das süffig-sarkastische "Nobody Wants A Lonely Heart" oder der emphatische Procul-Harum-Rock "What It's Like" - jeweils heruntergebrochen auf klangliches Selfmade-Niveau.

Wer Arthur Russells beschwingten Crooner-Pop der frühen 80-er hört, mag überdies einen Geistesverwandten der Exzentriker Jonathan Richman und Todd Rundgren erkennen. Um wie jene außerhalb des Kunstbiotops Manhattan zu gedeihen, waren Russells Spielarten allerdings zu spröde und introvertiert - das zeigt die umso beglückendere Zusammenstellung überdeutlich. Eine Perle vom Wegesrand der Musikgeschichte. Nicht gerade makellos, aber durchweg einzigartig.