Berry - das klingt nach süßen Himbeeren, lieblichen Brombeeren - und, wie im Falle der neuen französischen Chansonière Berry und ihres Debüts "Mademoiselle", auch hin und wieder nach herbem Holunder. Die reizenden Namen der Protagonistin und des Albums sollten den Hörer allerdings nicht täuschen, denn Berry benannte sich nicht nach herbstlich-kulinarischen Genüssen und kindlichen Fräulein-Liedern, sondern nach einer Ikone der Emanzipationsbewegung. ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
Berry nämlich ist auch eine reizvolle Landschaft in Frankreich, aus der George Sand, eine Heldin der Frauenbefreiung, stammt. Die 1804 geborene Schriftstellerin gilt als erklärtes Idol von Berry, und ihr Künstlername soll an sie erinnern. Elise Pottier, aka Berry, strebte schon mit 16 auf die Bühne, allerdings als Theaterschauspielerin. Ihre Affinität begründet sie mit ihrer mächtigen Liebe zu alten Schriftstellern und zur Dichtkunst. Da war es kein großer Schritt bis hin zum Verfassen eigener Poeme und später - folgerichtig - bis zum Vertonen derselben. In Frankreich liebt und lobt man Berrys Qualitäten als musizierende Reimschmiedin. Weil Gedichte lesen aber eine recht anachronistische Form des Lyrikgenusses ist, und weil Berry eine schöne, klare und doch zärtliche Stimme hat, die in angenehmen Bereichen des Tonspektrums agieren und die Fieperei vieler Kolleginnen vermeidet, suchte sich Berry einen passenden Tonmann für ihr Projekt: den Jazzmusiker Emmanuel "Manou" Rocha Perazzo.
Dieser verlieh ihren Reimen die lässige, Samba-umschmeichelte, sonnenverwöhnte, leichte Bossa-Jazz-Tönung, für die Manou in Frankreich beliebt ist. Seine Bands Manou da Bahia und Manou Jazz Rules segeln dabei jedoch zwischen weit freieren und experimentelleren Ufern. Berry leiht er ausschließlich seine liebliche Seite, die honigfließenden, warmherzigen Töne. Die akustische Gitarre und das Piano spielen dabei die Hauptrolle. Zart und dezent, aber doch rhythmisch und körperbetont baut Manou auf der Grundlage von einem zarten Spektrum zwischen Singer/Songwriter und Bossa viele andere Musiker und Instrumente mit ein: mehrere Gitarristen, Ukulele, Bouzouki, einige Perkussionisten, Fender Rhodes, Bass, Kontrabass, Bläser und ein kleines Streichorchester. Die Arrangements von Eumir Deodato (Björk) sorgen leider nicht für den nötigen Charakter, für keinerlei Exklusivität im Einfallsreichtum. Hier wird entspannt, nicht gespannt.
Aber obwohl sich Berry des in Frankreich üblichen zuckrigen Hauch-Duktus mit Kleinmädchen-Appeal befleißigt, wirkt sie lange nicht so kindergartenhaft wie viele ihrer Kolleginnen. Eher ein bisschen wie Carla Bruni oder Charlotte Gainsbourg, die als sperrige, dezent anrüchig-nikotinverderbte Varianten des kussmundgeschürzten Lolita-Mademoisellchens gelten. Was sollen lange Worte: 42 Wochen Dauerpräsenz in den französischen Charts sprechen für sich.