Vielleicht ist inzwischen dann doch die Frage erlaubt, wo Springsteen überhaupt noch hinwill und kann. Springsteen, der ungestüme Romantiker, Schutzpatron der Gefallenen, Noir-Poet, Geschichtenerzähler und natürlich der Stadionrocker par excellence. Springsteen, der sich aus seiner Schaffenskrise der frühen 90-er am eigenen Schopf herauszog und ein beseeltes Spätwerk einleitete. Keine anderthalb Jahre sind seit "Magic" vergangen. Doch der Boss und sein Freund und Produzent Brendan O'Brian machten nahtlos weiter. Springsteen schrieb schnell, brauchte nicht lange im Studio, und er präsentiert nun rechtzeitig zum Anbruch der herbeigesehnten Obama-Ära das programmatische "Working On A Dream". ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
Er habe sich an der "Rückkehr zur Pop-Produktion" begeistert, ließ Springsteen verlauten und gibt damit dann doch einen Hinweis, wo er womöglich hinwill. Zum Pop? Nun ja, zumindest das Songwriting lässt das nur in Ansätzen erahnen. Aber nicht alleine der geknödelte und übersteuerte Delta-Blues "Good Eye" verblüfft: Springsteen, einer der großen Originellen, der Selbsterfinder, arbeitet plötzlich mit Verweisen, Hommagen und Zitaten.
Mindestens zweimal zitiert er seinen Lieblingssänger Roy Orbison. Und wenn im achtminütigen Heldenepos "Outlaw Pete" ein paar Takte des Kiss-Schlagers "I Was Made For Loving You" anklingen, lässt das erst recht aufmerken: Der große Aufrechte und Authentische des amerikanischen Rock, so scheint's, hat plötzlich die Ironie entdeckt.
Vor allem aber ist "Working On A Dream" ein Dokument der Gelassenheit, der Spielfreude, fast schon der Altersmilde. Und das ist immer gefährlich. "Surprise, Surprise" ist textlich und musikalisch eine von Springsteen lange nicht gehörte Banalität. Mit dem tänzelnden "Tomorrow Never Knows" kommt er fast bei Glen Campbell an. Das Lied erzählt von der Ungewissheit, strahlt aber nichts als fröhliche Zuversicht aus.
So vielseitig und verspielt sich Springsteen zeigt, ab und an lässt er auch hier bekannte Signaturen erkennen. "My Lucky Day" ist so ein paradigmatischer Springsteen-Rocker, der vor Pathos schon fast überschäumt, um dann von einem flirrenden Saxofonsolo den Rest zu bekommen. Auch "This Life", das wie eine Easy-Listening-Nummer beginnt, zerfließt in Pathos und Streichern, erzählt vom Sternennebel und dem Durchschreiten der Einsamkeit zur Heimat. Das streift die Kitschgrenze, besticht aber durch eine erhabene Melodieführung. So darf man sich zuletzt mit der ebenso eingängigen wie schwierigen Platte doch versöhnt fühlen. "Life Itself" ist perlend und souverän, der Titeltrack makellos, genauso der Golden-Globe-prämierte Filmsong "The Wrestler".
Natürlich kann man der Produktion den Pomp, den ganzen unnötigen Zuckerguss mit Recht ankreiden. Doch irgendwie ist sie auch konsequent. Bruce Springsteen scheint mehr denn je mit sich und der Welt im Reinen zu sein. Alleine, der Stürmische, Zweifelnde und Gottverlassene hatte uns mehr zu geben.