Ein Weihnachtsbaum steht verloren am Rande der Bühne. All die prachtvollen Kostüme und Instrumente stehlen ihm die Show. Neben ihm: "Das Wort Gottes". Die Inschrift an der Backsteinkanzel entgeht dem aufmerksamen Zuschauer nicht. Sie blitzt durch die Nebelschwaden des lauten Mittelalterspektakels. Trotz Virtuosität beizeiten polternd, erfüllt die von Trommeln und Dudelsäcken angeführte Musik von Corvus Corax den Raum der Berliner Passionskirche. Aber es sind genau diese Gegensätze, die einen über die gesamte Spielzeit von "Live In Berlin" hinweg faszinieren. ~ Alexander Diehl (teleschau) aufklappen »
Mitnichten eine Leidensgeschichte ist es, was die "Könige der Spielleute" seit 20 Jahren auf den Beinen hält. Und überhaupt: Diese Kirche und Corvus Corax sind alte Freunde. Die Konzerte kurz vor Weihnachten sind zur Tradition geworden, das Orgelwerk zu "Cantus Buranus" wurde hier eingespielt. Nebenbei: Auch Subway To Sally nahmen hier bereits eine DVD auf. Womit das Thema angeschnitten ist: "Live In Berlin" bietet keinen Mittelalterrock. Auch keinen endlosen Bombast, keine Choräle und keine Popmelodien. Das 2006 erschienene und auf der Museumsinsel mitgeschnittene "Cantus Buranus - Live aus Berlin" besaß sicher die imposantere Szenerie. Nein, hier geht es ans Eingemachte, als Vergleich eignet sich eher die 2003 veröffentlichte "Gaudia Vite"-DVD. Wobei hier vieles vom aktuellen Studioalbum "Venus Vina Musica" - selbst bei diesem Titel trat kein protestierender Pfarrer auf den Plan - dargeboten wird. Dazu "Platerspiel" zum Mitsingen, "Chou Chou Sheng" zum Abgehen sowie mazedonische, türkische und albanische Tänze.
Obgleich besonders die Bildqualität zu wünschen übrig lässt und das gut zweistündige Konzert für Ungeübte durchaus anstrengend sein kann, ist "Live In Berlin" ein Hochgenuss für Kenner, die ihr Mittelalter gerne unverdünnt und hoch dosiert zu sich nehmen. Für die gibt es als Bonus-Zückerchen ein geradezu nostalgisch anmutendes Porträt namens "Mittelalter jetzt" aus dem Jahre 1993. Übrigens, "Live In Berlin" erscheint auch als reine Audio-Doppel-CD. Wobei ein jeder, der Corvus Corax bereits live erleben durfte, weiß: Das wäre die falsche Wahl.