Als Carl Barat vor gut zwei Jahren das Dirty-Pretty-Things-Debüt "Waterloo To Anywhere" veröffentlichte, reagierten so manche Fans enttäuscht: Wo Barat zusammen mit Pete Doherty zu Libertines-Zeiten die wohl besten Popsongs Großbritanniens schrieb, war das ziemlich bedeutungslose Durchschnittskost - zumindest verglichen mit dem, was der frühere Bandkollege mit seinen Babyshambles zimmerte. ~ Jochen Overbeck (teleschau) aufklappen »
"Romance At Short Notice", das zweite Album der Londoner Band, zeigt: Das war irgendwie ein Missverständnis. Auch Barat beherrscht nach wie vor die Kernkompetenzen, die jeden Libertines-Song zu einem Fest machten. Auch er schreibt wunderbar zerrissene Kleinode über England und seine Bewohner und darüber, dass eben nicht immer die Sonne scheint. Die Single kann man da schon als bestes Beispiel nehmen: "Tired Of England" heißt der Song, der in der Heimat der Band nicht nur begeisterte. Doch aufgepasst: Auch wenn der Song die in Pop- und Punkengland üblichen und etwas Nase rümpfenden Querverweise Richtung Königshaus bringt: Im Prinzip ist die Nummer eine Hymne auf Großbritannien, auf die englische Hauptstadt, aber auch auf die Einsamkeit, die kaputten Dächer, den Regen und Pornohefte in den oberen Regalfächern der Zeitschriftenläden. Das alles kommt so punktgenau, dass man schon große Vergleiche bemühen muss: Da fallen einem tatsächlich die Smiths ein, was an der Melodieführung liegen mag, aber auch die Buzzcocks und Blur. Nicht die schlechtesten Referenzen, und gleichzeitig die, die die Platte auch sonst prägen.
Doch auch die eigene Vergangenheit scheint durch: "Come Closer" ist ein kleines und ohne viel Ziertand auskommendes Kabinettstückchen, das durchaus auch von Pete Doherty stammen könnte, das quengelige "Hippy's Son" zeigt Barat verblüffend nölend und stimmgewaltig. Gemein haben all diese Songs aber sehr austarierte Arrangements, vor allem in Sachen Stimmarbeit wurde enorm reizvoll gearbeitet. Einfach mal "Faultlines" anhören, wo die Stimme von Bassist Didz plötzlich für die Melodieführung verantwortlich ist! "Best Face" kommt rau und nervös, beginnt aber in der letzten Minute gewaltig zu brennen. Das folgende "Truth Begins" dagegen versucht sich wieder an dieser romantisierenden Einfachheit, die schon die Libertines groß machte: Stimme, Gitarre, ein paar Töne vom Bass. Spät kommt das Schlagzeug, nötig wäre es nicht. "Chinese Dogs" schließlich ist angemessen verzweifelter, aber höchst melodiöser Garagen-Rock. Trotz dieser Vielfalt, trotz aller wechselnden Tempi: Das hier ist die erste Platte, die Barat als das zeigt, was Doherty schon so lange sein darf: als Poeten.