"Black Clouds & Silver Linings" stellt ein kleines Jubiläum in der Geschichte von Dream Theater dar, bringen es die Progressive-Metal-Vorreiter damit doch auf insgesamt zehn reguläre Studioalben. Die ersten zwei sorgten für massives Aufsehen, danach ging es im gemäßigten Schlingerkurs durch die Jahre. Inzwischen sind sie Routiniers, deren Spielwiese auf einer schwindelerregenden Höhe liegt. Das Level halten - was andere als Kritik verstehen, darf hier als Kompliment aufgefasst werden. ~ Alexander Diehl (teleschau) aufklappen »
Nicht sehr viel unterscheidet die sechs Stücke, die es zusammen auf über 75 Minuten bringen, von ihren Vorgängern. Und trotzdem ist wieder alles anders. Alles will vom Ohr neu verstanden und erlernt werden. Die wahnwitzigen Läufe, die stillen Klangtiefen, das Kräftemessen zwischen gelernter Technik und gefühlter Liebe. Die Werkzeugkiste, mit der Dream Theater den Gipfel einst erklommen, sie existiert noch. Sie wird auch weiter genutzt. Und immer wieder fühlt sich der Zuhörer, als wenn er das erste Mal einen Blick hineingewagt hätte: Die Spucke bleibt weg. Über den Umstand, dass die Heavy-Metal-Passagen mit ihren Taktkapriolen dem gewöhnlichen Headbanger keinen Gefallen machen, kann man noch schmunzeln. Die phänomenale Instrumentenbeherrschung überfährt den Hörer aber vollends.
Dream Theater gingen ins Studio, komponierten dort und produzierten selbst. Abgebrüht sind sie inzwischen geworden. Vieles auf "Black Clouds & Silver Linings" sucht seine Lehrmeister in der eigenen Historie. "Wither" ist der Beitrag zur Kategorie "kurz und zahm", "Pull Me Under" wartet weiter auf einen Erben, da kann sich das eingängige "A Rite Of Passage" noch so anstrengen. Das Level zu halten bedeutet jedoch auch, den ein oder anderen Joker im Ärmel zu haben: Mit einem düster-gruseligen Musicalfieber weiß "A Nightmare To Remember" gleich zu Beginn den Stillstandsgedanken zu verwerfen. Savatage- oder Ayreon-Anhänger kommen hier ebenso auf ihre Kosten wie Dream-Theater-Jünger, die den Metal gerne doppelt unterstreichen. Und die Perle, welche für normalsterbliche Bands in unerreichbare Sphären abdriftet, findet sich diesmal in Form von "The Best Of Times" wieder, das bei aller Brillanz von einer persönlichen Nähe lebt, welche den dunklen Ursprung des Textes (Schlagzeuger Mike Portnoy verlor seinen krebskranken Vater) mit den hellen Strahlen der Musik verschweißt. Wie war noch gleich der Albumtitel?