Wie klingt es, wenn man eine Freejazz-Kontrabassistin mit einem Streichquartett paart und eine liebliche Frauenstimme süßliche Melodien à la The Bird & The Bee dazu singen lässt? Schräg, klar. Aber auch unendlich kreativ. Die Ausnahmebassistin Esperanza Spalding nennt ihr Jazz-Album programmatisch "Chamber Music Society" und verbindet dort ihre Leidenschaft für Kammermusik, Gesang, Latin- und anderen Jazz. ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
Schon seit sie 15 ist, steht Esperanza als Konzertmeisterin der kammermusikalischen Gesellschaft in Oregon vor, der "Chamber Music Society". Bereits damals entdeckte sie auch ihre Leidenschaft für den Kontrabass und für den Jazz - zwei scheinbar unvereinbare Affinitäten, die sie aber mit Bravour zusammenfügt. Gemeinsam mit Gil Goldstein, der die Streicherarrangements beisteuerte, und einem Line-Up aus Streichquartett, Drums, Gitarre, Klavier und anderen packte Esperanza die Idee an, mit altertümlich klingenden Instrumenten neuen, relativ freien Jazz zu spielen.
Trotzdem orientiert sie sich in den Vocals stark an Pop, im Groove an Latin und in der Grundidee an einen Mix aus Wohlklang und Freiem, aus Improvisation und Durchkomponiertem. Dank der Besetzung fallen viele romantische Ideen in die Arrangements ein, hier eine lyrische Viola-Melodie, dort ein melancholisches Cello. Mal stimmt Esperanza ein süßes, sanftes Lied mit Wiegenlied-Charme an ("Little Fly", "Apple Blossom" mit Milton Nascimento), dann wieder wagt sie einen wilden Ritt durch die Harmonien - oder auch Disharmonien ("Chacarera").
Auch als Sängerin verfügt Esperanza über eine enorme Bandbreite. Sie scattet, seufzt, singt lieblich wie ein kleines Mädchen und rast dann wieder wie eine Furie durch die Oktaven. "Wild Is The Wind" spielt ein trauriges Thema an, mit sanftem Bandoneon im Hintergrund, dem jedoch Klavier und Drums einen kontrapunktischen Gegenpart liefern - sonst wäre das Lied fast "zu" schön.
Frei improvisierte Streicherparts nehmen auch den leichten, freundlichen Liedern jeglichen Radiosong-Appeal. Gewisse Parts oder auch das instrumentale Ministück "As A Sprout" aber erinnern eher an klassische Moderne, sind durchkomponiert, hochgradig verzwickt und brillant arrangiert. Wunderschön: Das vokal so vielschichtig und raffiniert austarierte Carlos-Jobim-Stück "Inútil Paisagem". Dank der feinsinnigen Symbiose von Latin-Beats, kammermusikalischer Konzentration, Jazz und schillernder Virtuosität ist Esperanza Spalding hier ein Album gelungen, das sich dem Hörer zwar erst langsam erschließt, das ihn dann aber komplett in seinen Bann zieht.