Kinder der 80-er kennen sie noch: Grace Jones, jenes seltsame Kunstgeschöpf, das in den androgynen Zeiten von Betonfrisuren und edelstählernen Wohnzimmereinrichtungen seinen kometenhaften Aufstieg feierte. Nach Jahren der Zurückgezogenheit überrascht die exaltierte Pop-Amazone die Allgemeinheit wieder mit einem Album. "Hurricane" heißt das Stück und es bietet neben perfekt gemachter Gebrauchsmusik auch noch einige positive Überraschungen! ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
Grace Jones - der Name klingt nach bizarrer Extravaganz und dramaturgisch perfekten Auftritten. Dieser Frau attestierte man eine Geburt in Jamaika wahlweise als Mann/Android/Automat und sie inspirierte eine ganze Ära. Rein rechnerisch wäre sie nun 60 Jahre alt, aber das ist natürlich kein Alter für einen Roboter, der rundum mit Teflon beschichtet scheint. Sie nahm am Studio-54-Fieber teil, avancierte vom Supermodel und skandalösen Enfant Terrible zur Schauspielerin ("James Bond", "Conan"), Andy-Warhol-Muse und auch zur Sängerin mit einer Reihe großer Hits. Irgendwo zwischen Diva, Disco, Soul, Breitwandpop, Dubdrums und Eighties lieferte sie mit grottentiefer Baritonstimme Sprechparts und mit überraschend schönem Kontra-Alt hittaugliche Melodien à la "Vie en Rose", "Nightclubbing" oder "Slave To The Rhythm". Ganze neun Longplayer währte ihr Ruhm, den sie aus eigenem Antrieb schlagartig beendete - sie hatte die Schnauze voll von der Plattenindustrie.
19 Jahre ist das her. Aber gemeinsam mit Brian Eno (als Berater) und ihrem Co-Produzenten Ivor Guest (derzeit ihr Verlobter), dazu mit Gästen wie Wendy & Lisa, Tricky, Sly & Robbie setzt sie nun direkt da an, wo sie aufgehört hat: Am dramatischen, facettenreichen, monumentalen Pop mit New-Wave-Appeal und Dub-Roots. Aber sie setzt sogar noch eins drauf. Sie zeigt menschliche Seiten ("I'm Crying (Mother's Tears)"), spiel mit coolen Clubsounds ("This Is", "Hurricane", "Devil In My Life"), mit Gospel ("William's Blood"), mit dicken, echten Orchesterklängen ("Love You To Life") und immer wieder mit Tangorhythmen, finsteren Industrial-Techno-Sounds, Dub und Reggae ("Sunset Sunrise").
Obwohl sich Grace selbst zitiert und ziemlich lückenlos an früher anknüpft, klingt das Album erstaunlich frisch, zeitlos, pompös, elegant und musikalisch. Die brillante Präsenz dieser kapriziösen Dame und ihre ausgeklügelten Songs und Arrangements fegen jegliche Bedenken oder Kritik (die in Großbritannien sowieso schon durchweg frenetisch-enthusiastisch war) mit einem kurzen Atemzug hinfort.