Veckatimest ist der Name einer kleinen, unbewohnten Insel, die südwestlich von Cape Cod, Massachusetts, einem der beliebtesten Ausflugsziele der USA, liegt. Jener indianische Name hätte ihnen einfach gut gefallen, behaupten Grizzly Bear bezüglich der Titelgebung ihres dritten Albums. In diese Entscheidung darf man aber getrost mehr hinein interpretieren als den bloßen Reiz des Schönklangs. Denn "Veckatimest" ist auch Ausdruck eines hemmungslosen Eskapismus und des Hangs des Quartetts zum musikalischen Experiment, zum Betreten bisher unbekannter Gebiete. ~ Stefan Weber (teleschau) aufklappen »
Unterstützung findet diese These, wenn man weiß, wohin es die Indie-Folk-Rocker aus Brooklyn für die Aufnahmen ihres Albums verschlug: zunächst in ein riesiges Tudor-Ära-Anwesen im Norden des Bundesstaat New York. Danach bewohnte man ein Haus auf Cape Cod, das die Großmutter von Sänger und Songwriter Ed Droste der Band zur Verfügung stellte. Und zum guten Schluss begab sich die Band in eine Kirche in New York. Drei Orte, die stellvertretend für die klanglichen Grundpfeiler von "Veckatimest" stehen - für harmonische Verschwendung, pastorale Schönheit und kontemplative Versenkung.
Oder musikalischer gesprochen: Wie die geistes- und gestenverwandten Fleet Foxes und Animal Collective schöpfen Grizzly Bear aus dem Füllhorn amerikanischer (Pop-)Songtraditionen. Bedienen sich bei himmelhochjauchzenden Beach-Boys-Harmonien und komplex arrangierten Chören, spüren der verführerischen Folk-Naivität des frühen Neil Young nach und verlieren sich in der hypnotischen Kraft von Byrds-Melodien. Zwischen diesen Orten kommt das Quartett aber längst nicht am Ende an. "Southern Point" weist mit nervös-fiebrigen Percussion tatsächlich nach Süden, das schleppende "Cheerleader" blickt über den Atlantik zu den Experimentalisten von Radiohead, und "I Live With You" mündet gegen Ende schlicht in Lärm und schieres Chaos.
"Veckatimest" hat beste Chancen, zur mehrheitsfähigen Indie-Konsens-Platte des Jahres zu werden, ähnlich wie es die Fleet Foxes 2008 schafften. Der Status als Geheimtipp, der ihnen mit dem Vorgänger "Yellow House" noch verpasst wurde, dürfte aber auf jeden Fall passé sein.