Der Kuchen ist wie so oft ungerecht verteilt: Metallica, Slayer und Megadeth kennt ein jeder, Exodus und Testament sind feste Größen in der Szene. Aber auch im Thrash Metal gibt es einige, die viel geleistet haben, dafür mit Lob bedacht wurden, und trotzdem nie den Sprung schafften - so sehr sie sich auch an ihren Instrumenten abmühten, so sehr sie ihren Unmut ins Mikro bliesen. Beispielhaft für diese Kategorie: Heathen, die mit "The Evolution Of Chaos" eine Evolution des Genres in Angriff nehmen. ~ Alexander Diehl (teleschau) aufklappen »
Zugegeben, lange Wartezeiten, Schicksalsschläge und Besetzungswechsel waren einem stetigen Anstieg des eigenen Bekanntheitsgrades nicht gerade förderlich. Heathen ließen sich einst mit "Victims Of Deception" feiern. Dieser letzte reguläre Studiostreich erschien 1991. Gitarrist Lee Altus wurde danach bei den Krupps und Exodus gesichtet. Aber es rumorte: einmal "Wacken"- und "Rock Hard"-Festival, einmal Coverversionen, einmal Demo, Album angekündigt, Album verschoben. Jetzt ist es soweit: Das neue Jahrzehnt wird mit einer Thrash-Platte eingeläutet, die - so orakeln wir ganz freimütig - als eine der wichtigsten des Jahres durchgehen wird.
Heathen stehen im goldenen Zentrum von Härte und Melodie, Können und Charakter. Sie haben ihren Bay-Area-Stil mit der Muttermilch aufgesogen. Sie betätigen sich als Impulsgeber, ohne die Autoritäten zu ignorieren. Insbesondere die Gitarrensoli sind von ausgesuchter Qualität, könnten als Anreiz für Nachwuchsmusiker dienen. Wie einst, als Iron Maiden und Metallica ganze Heerscharen in die Musikläden laufen ließen. Tatsächlich hört sich "Arrows Of Agony" ein wenig an, als ob die eisernen Jungfrauen Lust auf Thrash bekommen hätten.
Ein Heidenspaß macht dieser Song - und mit ihm die gesamte Platte, welche ihre Krone mit "No Stone Unturned" aufgesetzt bekommt. In früheren Zeiten hätten sich Hetfield und Kumpanen die Finger nach solch einem Ungetüm geleckt. Die Grenzen gängiger Songstrukturen zu sprengen und trotz elf Minuten Dauer nicht gewillt sein, der Langeweile die Hand zu reichen, das bekommen Heathen hier auf atemberaubende Weise hin: progressive Einsprengsel, gezupfte Verschnaufpausen, Meisterbassist Steve DiGiorgio als Gast, Text mit genügend Raum für Interpretationen. Stoff, aus dem Thrash-Metal-Träume gemacht sind.