Nein, einfach hat es Heinz Rudolf Kunze nicht. Er ist kein Grönemeyer, kein Maffay. Keiner, der nur ob seines Namens die Hallen füllen und seine Platten verkaufen kann. Dabei ist er ähnlich lange dabei. Seine künstlerische Laufbahn begann 1980. Fünf Jahre später folgte mit "Dein ist mein ganzes Herz" jener Hit, der ihn ein Leben lang verfolgt. Ein gutes Dutzend Alben hat er seither veröffentlicht. Nun kommt das neue auf den Markt. Der schlichte Titel: "Protest". Übrigens diesmal ohne seinen langjährigen Weggefährten Heiner Lürig, der mit der jungen Band nicht mehr harmonierte. ~ Kai-Oliver Derks (teleschau) aufklappen »
Was Kunze zuletzt medial unternahm, hatte nicht gerade etwas mit Protest zu tun. Er trat beim Promi-Dinner auf, spielte bei Hugo Egon Balder im Schnee, wirkte mit in der ARD-Krankenhausserie "In aller Freundschaft". Dazu kam der erfolglose Versuch, sich 2007 für Deutschland für den Grand Prix zu qualifizieren. PR-Maßnahmen? Kunze selbst sagt, er habe das alles aus Spaß getan. Ein möglicher Popularitätsschub sei jedoch ein "positiver Nebeneffekt". Seine Fans dürfte der Wortpoet, der Intellektuelle aus dem Norden des Landes, mit solch kommerziellen Tun jedoch massiv verstört haben. Rege Diskussionen in Fanforen zeugen davon. Kann er sie zurückgewinnen mit seinem aktuellen Album? Bekommt er gar neue Anhänger?
"Längere Tage" heißt die Single. Ein schönes, ein eingängiges, ein liebes Lied. Aber im Format-Radio läuft es kaum. Kunze verfolgt der Ruf des komplizierten Textes. Nicht wirklich geeignet für ein Nebenhergedudel am Vormittag im Büro. Aber: "Ich wünsche mir längere Tage, ich wünsche mir mehr Licht. In dem ich dich sehen kann, mehr brauche ich nicht." Das versteht man. Wie überhaupt ein Großteil der CD textlich nicht mehr so experimentell, nicht mehr so verquast wirkt wie früher. Kunze ist eingängiger, ist klarer geworden, was leider auch zur Folge hat, dass die Interpretation des Gesungenen kaum mehr Räume zulässt. Klar, Ausnahmen gibt es: Dass ausgerechnet "Fetti Müller und der Klarsichthüllenmann" Autofahrer verprügeln und "Krüppel Wutzke" mehr Tagebau in Kassel fordert, fällt in die Rubrik "Kunzes Lyrik für Fortgeschrittene".
Musikalisch indes wagt HRK viel auf seinem Album. "Astronaut in Bagdad" zum Beispiel ist kantiger, krummer Rock. Die wütenden Titel "Dagegen" und "Selbst ist die Zerstörung" ebenso. "Ein besondrer Tag" geht in Richtung Schnulze. "Regen in meinem Gesicht" ist eine musikalisch eingängige, inhaltliche nachdenkliche Abhandlung über Trennung und Einsamkeit.
"Protest" (15 Songs) will ein bisschen viel, ein bisschen von allem sein. Ein sehr uneinheitliches Album, das qualitativ denn auch schwankt. Aber selten wirklich fällt. Heinz Rudolf Erich Arthur Kunze will, so scheint es, was anbieten für jeden Heinz und jeden Rudolf, für Erich und Arthur und für all ihre Frauen und Kinder und Mütter und Väter. So wie Grönemeyer. Man muss kein Prophet sein, um zu ahnen, dass das nicht gelingen kann. Schneeballschlachten bei Sat.1 ändern nichts an Kunzes Ruf: Provozierende Agenten können nie von allen geliebt werden. Und das ist ihre auch nicht ihre Aufgabe.