Zwischen Blumfeld-Fans tobte gerne ein Lagerkampf. Die einen begriffen die Band als politisch andersdenkendes Noise-Modell, in dem gesellschaftliche Relevanz mit einer musikalischen Verweigerungshaltung einherging. Alles nach "L'etat et moi" wurde von ihnen mit einer bisweilen verblüffend harschen Abwehrhaltung rezipiert. Die anderen wiederum begrüßten den Weg von Frontmann Jochen Distelmeyer, seine Reise ins Innere des Popsongs im Dylan'schen oder Prefab Sprout'schen Sinne, sprich ohne jede Redundanz. Ihre Hoffnung, "Heavy", sein erstes Soloalbum nach der Blumfeld-Auflösung 2007, wäre nun die große Seelenexegese, ein Bildnis Distelmeyers mit Gitarre, womöglich gar in der Botanik, wird nicht erfüllt. Der Hamburger weigert sich, irgendwohin abzubiegen, und er erfüllt Erwartungshaltungen nur teilweise. ~ Jochen Overbeck (teleschau) aufklappen »
Man findet auf "Heavy" keine Stringenz, weder in der Inszenierung noch in der Haltung. Distelmeyer wechselt zwischen den beiden Polen seiner eigenen musikalischen Geschichte, wie es ihm gerade beliebt. Natürlich bezieht er sich einige Male sehr dezidiert auf das Frühwerk Blumfelds, auf die Ängste und Widersprüche, die es transportierte, etwa in "Wohin mit dem Hass". Doch wo in "L'etat et moi" die Ängste selten aufgelöst wurden, explodieren sie hier, werden, vergleichbar eher mit dem 2003 erschienenen "Testament der Angst" kanalisiert und recht bildfrei artikuliert. "Kennst Du die Reichen und Mächtigen? Lass Ihre Wagen brennen!", singt Distelmeyer. Vermutlich in der deutschen Gitarrenmusik die expliziteste Textzeile seit, sagen wir mal, "Bullenschweine" von Slime.
Näher an die Tagespolitik wagt sich Distelmeyer auf "Heavy" nicht. Stattdessen stellt er solchen Stücken einen Rückzug ins Private entgegen, der vielleicht erwartbar war, aber eine Dichte besitzt, die dann doch verblüfft. Dabei ist es weniger die Single "Lass uns Liebe sein", die begeistert. Gegen Ende kommen sie, die schwer emotionalen und dennoch völlig kitschfreien Geschütze. Zunächst "Jenfeld Mädchen", ein treibender, irgendwo zwischen Crowded House und Prefab Sprout inszenierter Popsong über Träume und Hoffnungen, also durchaus zentrale und oft abgearbeitete Themen. Am Ende schließlich "Murmel": Ein unglaublich zurückgelehntes Kabinettstückchen in Sachen Folkpop, das anfangs ein bisschen an "Norwegian Wood" erinnert, und dann in eine Zustandsbeschreibung umschlägt, die nach Harmonie klingt, nach einem Dreieck zwischen Kinderspielplatz, Job und Altbauwohnung. Und übrigens: Wer die Sache mit der Botanik vermisst, sollte sich einfach die Single kaufen: Die B-Seite von "Lass uns Liebe sein" heißt tatsächlich "Pferde auf der Wiese" und klingt auch so.
Jochen Distelmeyer auf Deutschland-Tournee
04.11., Bremen, Modernes
05.11., Dortmund, FZW
06.11., Bielefeld, Kamp
07.11., Mühlheim, Ringlokschuppen
09.11., Köln, Gloria
10.11., Trier, ExHaus
11.11., Erlangen, E-Werk
12.11., Heidelberg, Karlstorbahnhof
14.11., Stuttgart, Universum
15.11., München, Ampere
16.11., Leipzig, Conne Island
17.11., Berlin, Postbahnhof
02.12., Osnabrück, Lagerhaus
04.12., Tübingen, Sudhaus
12.12., Regensburg, Alte Mälzerei
13.12., Frankfurt, Mousonturm