Gibt es hier jemanden, der glaubt, Lindsay Buckingham wäre die britisch-royale Namensschwester von Lindsay Lohan? Sechs, setzen. Lindsay Buckingham ist natürlich der hypervirtuose Gitarrist, Komponist und Arrangeur von Fleetwood Mac! Der Mann, ohne den es entscheidende Fleetwood-Mac-Alben wie "Rumours", "Tusk" oder "Mirage" nie gegeben hätte. Nach der 2002er-Reunion der Fleetwoods veröffentlicht Buckingham nun auch Eigenes, so wie das ambivalente "Gift Of Screws". ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
Das hervorstechendste Merkmal von Buckinghams "neuem" Album (die Songs wurden von 1995 bis 2008 eingespielt) ist sein Gitarrenspiel. In klingenden, silbernen Klangschauern sprudelt es hinter Songs wie "Time Precious Time", ein schillernder und vibrierender Saitenteppich, den eine Harfe nicht schöner hinbekommen hätte. Auch in "Bel Air Rain" lässt die Gitarre lautmalerisch den Regen prasseln, "Underground" besticht ebenso durch klare, vordergründige fingergepickte Tonfarben. Fast schon übermenschlich schnell pickt, zupft, ja, zerspaltet Buckingham seine Saiten. Er gilt zu Recht als einer der unterschätztesten Musiker und einer der besten Gitarristen im Rockzirkus schlechthin.
Leider greift er beim Komponieren hin und wieder daneben. So blubbert "Did You Miss Me" haarscharf an einer Trucker-Radio-M.O.R.-Nummer vorbei und "Love Runs Deeper" könnte ohne Buckinghams schillerndes Saitenspiel auch eine herkömmliche Durchschnittspopnummer sein. Das finale "Treason" hat die Bezeichnung "Rausschmeißer" redlich verdient, die Grenzwertschmuser von Smokie hätten kaum eine schlimmere Hymne hinbekommen.
Doch das bleiben Ausrutscher. Buckinghams Genre ist der dreckige Rock mit Blues-Feeling und Hirn. Sein brillantes Fingerpicking und sein Spiel ohne Plektrum überstrahlen auch kleine Kompositionsschwächen, egal ob seine schnellen Finger eine glatte Radionummer aufpolieren oder die Hauptrolle bei imposanten Saiten-Lautmalereien spielen.
Buckingham shuffelt sich durch "Wait For You", bewegt sich optimistisch und kraftvoll Richtung Glamrock in "The Right Place To Fade". Und liefert mit dem Titeltrack eine dreckige, rauch-, whiskey und bluesgeschwängerte Mitgrölnummer à la ZZ Top ab - ein Glanzstück auf dem Album. Hier spielen Mick Fleetwood und John MacVie an Drums und Bass, ebenso wie auf "Wait For You". Zwar textet Buckingham auch auf "Gift Of Screws" - wie beim Vorgänger "Under The Skin" - dunkle Introspektiven, aber der Sound ist klarer, rockiger und optimistischer geworden.