Wer mag das sein, die "North London Invaders"? Ganz recht, das ist der Gründungsname der später als Madness bekannt gewordenen Ska-Truppe, die vor exakt 30 Jahren ihr erstes Album veröffentlichte. Grund zum Feiern, und Anlass für die Band, mit einem neuen Studioalbum namens "The Liberty Of Norton Folgate" um die Ecke zu kommen. ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
"Nutty Sound" nannte man den Mix aus Ska, Spaß, Punk und Pop, den Madness mit Songs wie "One Step Beyond", "Our House", "The Rise And Fall" oder "Michael Caine" vor allem in den 80-ern prägten. Eine wechselvolle Geschichte bestimmte den Lauf der Band, Ausstiege von Mitgliedern, Wiedereinstiege, eine Trennung 1986 und das furiose, als "Madstock" gefeierte Megakonzert zur Wiedervereinigung 1992 folgten. Der Superhit "Lovestruck" von 1999 ebnete der Band den Weg zu einem melodischeren, erwachsenen Sound, trotzdem kam nicht viel Neues, Selbstkomponiertes auf dem Markt. Gründungsmitglied Chris Foreman verließ deshalb 2005 die Kapelle, um nun, in der aktuellen Besetzung, wieder dabei zu sein.
Und auf "The Liberty Of Norton Folgate" mixt die Sieben-Mann-Kapelle wie gewohnt melancholische Geschichten aus der Arbeiterklasse mit tanzbarem, poppigem Sound, der mit Gniedelgitarre, Bläsern, Ska-Feeling und den üblichen Zutaten aufwartet. Trotzdem blieben die Jungs aus Camden Town nicht in den 80-ern hängen. Eher in den 50-ern bis 70-ern. Na, Spaß beiseite. Ihre Idee, das Album als Konzeptalbum nach Art einer Mini-Oper über London und dessen Bezirk Norton Folgate zu ordnen, ist brillant. Das Vorspiel, ein Mix aus Balkanbläsern, Mariachi-Seligkeit und Trauermarsch mündet in das nostalgisch anmutende "We Are London" in gemütlicher Seventies-Gangart. Danach folgen das betuliche "Sugar And Spice" mit Fifties-Flair und die Single "Forever Young" - ganz im typischen Madness-Sound mit Reggae-Beats, Bläsern, Kinks-Appeal, Barpiano und Ohrwurmmelodie. Grandios auch später "Dust Devil": Nuttyness à la "One Step Beyond" sucht man hier zwar vergeblich, dafür wird edelster Pop verbreitet, der mit Kinks, Beatles, Psychedelic und Comedy garniert wird.
Tiefpunkte gibt's allerdings auch: "That Close" strotzt leider vor Plattitüden und Songs wie "On The Town" oder "Bingo" sind derart voller Piano-Klischees, dass man davon ausgehen muss, dass dieser Zitate-Wust und Retro-Sound Methode hat und Teil des Großstadt-Oper-Konzepts sein soll. Abgeschlossen wird das Oeuvre von der Song-Suite "The Liberty of Norton Folgate". Und dieses zehnminütige Kunstlied mit vollem Orchester und vielen spannenden Überraschungen - Walzerteile, Western-Odem, Orient, Kurt-Weill-Feeling und Vaudeville-Ideen - ist dann doch fast alleine schon das Album wert.