Vater, Mutter, Bruder, Stiefschwester, Tante: Ob Martha Wainwright ihre hochmusikalische Familie wohl eher als Fluch oder doch als Segen betrachtet? So ganz genau weiß man das nicht, ihrem Vater Loudon III, ganz früher ja mal als der "neue Dylan" tituliert, widmete sie das bitterböse "Bloody Mother Fucking Asshole". Andererseits nahm sie sowohl mit ihm, dem ungeliebten Erzeuger als auch mit ihrem Bruder, Kritikerliebling Rufus, schon gemeinsam Songs auf. Wahrscheinlich geht es eben weder so ganz mit noch ganz ohne. Dennoch: Auf ihrem dritten Album "Sans Fusils, Ni Souliers, à Paris: Martha Wainwright's Piaf Record" lässt die Songwriterin persönliche Befindlichkeiten und Familienbeziehungen erst mal außen vor - und präsentiert stattdessen Songs der großen französischen Chansonsängerin. ~ Stefan Weber (teleschau) aufklappen »
Eine durchaus weise Entscheidung, wie sich schnell herausstellt. Denn Wainwright zeigte mit ihren zwei Folkrock-Alben zwar, dass sie eine gute und talentierte Songwriterin ist, aber - mal ganz böse gesagt - eben auch nur eine unter vielen ihrer Art war. Von der wirklich herrlich-kratzbürstigen, bereits erwähnten Hasstirade mal abgesehen. Als reine Interpretin hingegen kann sich die Kanadierin tatsächlich auszeichnen und sicher auch ein Stück weit vom Wainwright-Familienbetrieb emanzipieren.
Denn obwohl die Fallhöhe wohl kaum größer sein könnte, Wainwrights Piaf-Covers überzeugen auf der ganzen Linie. Zu verdanken ist dies vor allem ihrer wandlungsfähigen Stimme, die fast an das raue und herbe Timbre der großen Chansonnière heranreicht. Glücklicherweise verlässt sie sich auch voll und ganz auf jene, lässt die kleine Bandbesetzung (Gitarre, Piano, Akkordeon, Trompete) zu keinem Zeitpunkt sich unnötig aufspielen. Richtig war aber auch die Entscheidung, Produzent Hal Willner (Marianne Faithfull, Lou Reed, Lucinda Williams) für die Aufnahmen zu verpflichten, denn jener setzte die in intimer Live-Atmosphäre eingespielten Songs wunderbar zurückhaltend in Szene. So kann sich Wainwright mit voller emotionaler und stimmlicher Wucht in Piaf-Klassiker wie "Une Enfant", "Adieu Mon Coeur" oder "Non, La Vie N'est Pas Triste" werfen. Und dass ihre Gefühle gerne mal in Wallung geraten, wusste man ja bereits. Besser kanalisiert als auf diesem Album hat sie jene aber bislang noch nie.