Zugegeben: Die Beatles haben dieses Jahr - natürlich auch nicht ganz zu Unrecht - in Sachen Wiederveröffentlichungen alles überstrahlt. Ihren kompletten Backkatalog mit enormem Aufwand digital aufzupolieren und in aufwendigen Boxsets neu auf den Markt zu bringen, war nicht nur kommerziell gesehen eine gute Idee. Neil Young hatte es da nicht nur medial etwas schwerer - auch der schiere Umfang seines bisherigen Lebenswerks ist ungleich größer. Aber nichtsdestotrotz: Nach "Archives Volume 1 (1963-1972)" und der Wiederveröffentlichung seiner ersten vier Soloalben legt der eigenbrötlerische Kanadier innerhalb eines Jahres noch einen kleinen Schatz aus den Archiven nach: "Dreamin' Man" beinhaltet Liveakustikversionen seines 1992er-Albums "Harvest Moon". ~ Stefan Weber (teleschau) aufklappen »
Warum Young bei der bisher chronologischen Aufarbeitung seines Backkatalogs nun einen Zeitsprung von 20 Jahren macht, weiß der 64-Jährige wohl nur selbst. Die Aufnahmen als gesondertes Album zu veröffentlichen, macht aber definitiv Sinn: Nach diversen experimentellen Ausflügen in den 80er-Jahren, die weder Fans noch Kritiker goutierten, besann sich Young wieder auf seine Stärken. "Freedom" von 1989 zeigte - im Besonderen bei "Rockin' In The Free World - eindrucksvoll, dass der Kanadier immer noch in der Lage war, lärmende, ausufernde, beizeiten auch hymnische Gitarrenrocksongs zu schreiben. Bei "Harvest Moon", das drei Jahre später erschien, verwies er dann - nicht nur dem Titel nach - noch stärker auf seine glanzvolle Vergangenheit.
20 Jahre nach "Harvest" besang Young den "Harvest Moon" und griff dabei auf die Folk- und Countrystilmittel seines 1972er-Meilensteins zurück. Größter Unterschied zu damals: Ein gewisses Gefühl der Wehleidigkeit bis hin zum offenen Selbstmitleid, die seine Stimme seit jeher zu transportieren in der Lage war, trat hier in den Vordergrund. Und gerade dieser Aspekt des Albums tritt auf "Dreamin' Man", auf dem alle zehn Songs von "Harvest Moon" jetzt als Akustikversionen versammelt sind, noch stärker in den Vordergrund. Nur Youngs Gesang und die Gitarre - ohne anheimelnde Arrangements - zeigen einen Künstler voller Selbstzweifel und Sehnsucht. Aber eben auch, dass der Titeltrack, "Such A Woman" und "You And Me" mit zum besten Songmaterial Youngs gehören. Und insofern mag "Dreamin' Man" zwar nur einen vergleichsweise kleinen und speziellen Ausschnitt aus dem Schaffen des kanadischen Eigenbrötlers hörbar machen - ein besonders wertvoller und schöner ist es aber allemal.