1998 wurde der Trompeter Nils Petter Molvaer mit einem Schlag, genauer gesagt mit seinem Debütalbum "Khmer", bekannt. Sogar ein Musikvideo zu "Song Of Sand" flimmerte hier und da über den Fernsehbildschirm - für Jazztracks eher ungewöhnlich. Molvaer wurde mit Lob überschüttet, bekam den Preis der Deutschen Schallplattenkritik und die "L.A. Weekly" ernannte "Khmer" gar zum Jazzalbum des Jahres 1998. Dabei hatte Molvaer bereits damals den sicheren Boden des Jazz verlassen und sein Boot zu neuen Ufern getrieben, wie auch sein neues Album "Hamada" einmal mehr beweist. ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
Schon früh verband Molvaer die Freuden des analogen Jazz mit den treibenden Beats von Ambient, House oder Techno, mit Sequenzerklängen und Elektronika aller Art. Über allem schwebte stets sein klarer und doch warmer, Miles-Davis-esker Trompetenklang, elegisch und doch distanziert, melodisch und schwer melancholisch. Das war natürlich schon damals nicht neu, bereits in den 70-ern hatten Jazzmusiker, aber auch Pioniere wie Can und Konsorten Ähnliches probiert und produziert. Neu aber war die Idee, dass der Beat dem Tanzboden entliehen ist, eine Kombination, die zahlreiche Projekte nachzuahmen versuchten. Der Unterschied war nur, dass Molvaer eben aus dem Jazz kam und Richtung Elektro strebte, die anderen das Pferd meistens andersherum aufzäumten.
Nun betört und bezirzt Molvaer auf "Hamada" erneut mit einer glasklaren, bestechenden klanglichen Schönheit. Sein Ton ist weicher geworden, fast holzbläserartig. Sanft und samtig umschmeichelt er den Hörer im Intro "Exhumation" a Capella, um dann, dank der Westerngitarre, in eine ungewohnte High-Noon-Stimmung zu verfallen - in den ultra-langsamen Track "Sabkah" nämlich, der direkt auf dem Paris-Texas-Soundtrack Platz finden könnte. Aber damit kein zu wärmendes Cowboy-Lagerfeuer die kalten Fjordnasen erwärmt, setzt er gleich "Icy Attitude" hinterher, ein schwebender, ambienter Track, der so klingt, wie er heißt. Wie eine Eisgrotte, für Ewigkeiten gefroren und vom unheimlichen Wind zum Singen gebracht. Auch "Monocline Revisited" und "Soft Moon Shine", "Lahar" oder "Anticline" passen in diese Assoziationsmuster: Klanglandschaften, Dramatik, Breitwand. Ganz großes Kino. "Monocline" hingegen schwebt tonartfrei in der pentatonischen Tonleiter, Harfen, Hall und noch andere Zutaten erinnern gar an Debussy.
Molvaer kann aber auch anders: "Friction" klappert, zerrt, zurrt und knackt mit schräg-bizarren Schreddersounds an den (Hör)nerven und lässt erahnen, dass der anfangs so elegische Molvaer ganz schön viel Temperament hinter seinem Sound pflegt, das er hin und wieder herauslässt. Auch "Cruel Attitude" benutzt eher die Klangsprache von experimentellem Indie-Rock à la Radiohead als die sonst so harmonisch-elegische Traumsprache. Und es ist auch gut, dass diese beiden Tracks auf dem Album sind. Sonst wäre "Hamada" fast ein wenig zu schön geraten.