Das Märchen geht weiter, Gott sei Dank. Das Märchen, das wahr wurde, als der Brite Paul Potts am 17. März 2007 die Bühne betrat, um vor der Jury der Castingshow "Britain's Got Talent" die Puccini-Arie "Nessun Dorma" zum Besten zu geben. Erst bekamen die Juroren eine Gänsehaut ob des aufgeregten dickleibigen Sängers - und dann die ganze Welt. Potts eroberte, das Allerweltswort sei erlaubt, "die Herzen der Millionen im Sturm". Der kleine Mann, der sich als Operngenie entpuppte - fast zu schön, um wirklich wahr zu sein. Die Stunde des Amateurs, des kleinen Mannes, sie hatte geschlagen. Zwei Jahre danach veröffentlicht Potts bereits sein zweites Album "Passione" und straft damit alle Lügen, die behaupten, dass der Mann gar nicht singen kann. ~ Wilfried Geldner (teleschau) aufklappen »
Eine Welttour hat er schon hinter sich seit seinem ersten Überraschungscoup, mit mehr als 100 ausverkauften Konzerten, in Deutschland wurde er mit dem Echo als "Best International Artist" ausgezeichnet und sang beim Oliver-Kahn-Abschiedsspiel in der Münchner Allianz Arena. Die erste CD, "One Chance" verkaufte sich über eine Million Mal.
Raketenartige Erfolgsstorys, die so beginnen, pflegen nicht selten abrupt zu enden. Im Falle des zuvor teils depressiven, teils Not leidenden Potts warten manch kritische Geister wahrscheinlich geradezu darauf. Doch Potts, der Mann mit dem Kämpferherz, bietet pari: Er singt seine Lieder mit dem äußersten Stimmvermögen. Und wenn ihn dabei die Technik einigermaßen hinlänglich unterstützt, klappt das auch.
Auf manche der (fast) allesamt italienisch gesungenen Schnulzen könnte man getrost verzichten, ob sie nun "La prima volta" (Eröffnungstitel) oder "Un giorno per noi" heißen mögen. Klingt künstlich und steril. Ein übler Klangteppich frisst beinahe alles auf. Doch schon eine "Mamma"-Hymne hat immerhin gefühlvolle Power, und "Bellamore" kommt dank rhythmisierter Unterstützung statt voluminöser Klanggegnerschaft des Orchesters als überzeugende Ballade daher. Dass Potts kein Opernsänger ist (und wohl nie einer werden wird), dafür bietet leider die Cavaradossi-Arie "Es leuchten die Sterne" aus Puccinis "Tosca" Gewähr - ein schwarzes Loch ohne jeden Stern.
Dafür hat Potts eine Gabe für leichtere tenorale Lieder, wie sie selbst Weltstars nur selten besitzen. Sein "Dein ist mein ganzes Herz" ist eine intensive Variante des Welthits von Franz Lehár. Das ergreift, eher noch als etwa bei Placido Domingo, ganz ohne Frage. Auch, wenn für manchen die Diktion ("Tein ist mein ganzes Herz", "wie die Blüme welkt") möglicherweise gewöhnungsbedürftig ist. Dass Potts ein Schlagersänger mit Opernstimme im besten Sinne ist, beweist er selbst mit dem Welthit "Granada", das unsicher beginnt, aber dann doch in einem zündenden Feuerwerk mündet, ohne aufzutrumpfen.
Zwei, drei Hits von dieser CD also werden bleiben. Die Geschichte, das Märchen darf weitergehen. Ein Schuft, wer über manch kleinere Katastrophen nicht hinweghören wollte. Als Unterhaltungstenor sollte man Potts nicht voreilig abschreiben.