Lange nicht gesehen, Alter. Fünf Jahre sind seit der Neuinterpretation seines eigenen Werks auf "The Randy Newman Songbook, Vol. 1" vergangen, gar neun Jahre seit dem letzten regulären Album "Bad Love". Doch Randy Newman, der große Süffisante unter den amerikanischen Songwritern, hat gleich eine Erklärung parat: "Hasn't anybody seen me lately / I'll tell you why / I caught something made me so sick / That I thought that I would die", berichtet er zu Beginn im Titelstück "Harps And Angels". Doch der Allmächtige ließ den armen Sünder noch einmal von der Schippe springen: "Lucky for you this ain't your time / Someone very dear to me has made another clerical error." ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
Wohl dem, der 64-jährig so flapsig über die fortgeschrittene Lebensdauer kalauern kann. Doch das Alter kann einem wie Randy Newman auch nicht wirklich viel anhaben. Seit seinem Debüt von 1968 schießt der spitzfindige Querkopf seine musikalischen Giftpfeile gleichsam aus dem Ohrensessel. Die Beweglichkeit des überzeugten Altersnarren war immer zuerst gedanklicher Art. Und so ist "Harps And Angels" einmal mehr eine fröhliche, unverschämte und über die Maßen genüssliche Abrechnung mit Amerika, Gott und der abendländischen Kulturgeschichte.
"A Few Words In Defense Of Our Country" ist in dieser Hinsicht der Schlüsselsong der neuen Platte - gewissermaßen ein Nachhall des kontrovers aufgenommenen "My Country" vom Vorgänger "Bad Love". Vergnüglich, melancholisch und politisch unkorrekt referiert Newman in der süffigen Country-Nummer zur maladen Lage der Nation: "Now the leaders we have / While they're the worst that we've had / Are hardly the worst this poor world has seen." Man denke nur an die Cäsaren, die mit ihren Schwestern schliefen, die gemeine spanische Inquisition oder gar an Hitler und Stalin - "Men who need no introduction".
"A Piece Of The Pie" beklagt das Auseinanderklaffen der Schere zwischen arm und reich und versetzt sozial engagierten Rockstars im Vorbeigehen einen ironischen Seitenhieb: "While we're going up / You're going down / And no one gives a shit but Jackson Browne." In "Korean Parents" nimmt sich Newman zu orientalischen Melodiefragmenten das Unglück amerikanischer Einwandererkinder vor. "Lough And Be Happy" ist purer Zynismus im Gewand einer Dixielandkapelle - von Mitchell Froom und Lenny Waronker wie die gesamte Platte grandios produziert.
Seit den klassischen 70er-Jahre-Alben "Good Old Boys" (1974) und "Little Criminals" (1977) weiß man, dass Randy Newman nicht nur der große Zyniker Amerikas ist, sondern auch sein klarsichtigster und erschütterndster Humanist. Und doch treffen einen die zu Tränen rührenden Schmacht-Balladen "Losing You" und "Feels Like Home" einmal mehr wie unvorbereitet ins Mark. Der Liebe im Angesicht politischer Barbarei Bahn zu brechen: vielleicht eine der gewaltigsten Leistungen des großen Randy Newman.