Zeit ihres Lebens kämpft die elektronische Musik mit dem Vorurteil, steril und gefühlskalt zu sein. Dabei gibt es genügend Beispiele, die das Gegenteil beweisen. Richard Barbieri ist so ein Beispiel. Als Keyboarder der legendären Band Japan prägte er zusammen mit David Sylvians markanter Baritonstimme Ende der 70-er eine Musikepoche, die später als New Romantic Einzug in die Geschichtsbücher hielt. Auch als Mitglied der Prog-Rock-Formation Porcupine Tree setzte er mit seinen individuellen Klanglandschaften einen spannenden Kontrapunkt zu den dominierenden Gitarren. Barbieris Soloalbum "Stranger Inside" ist in großen Teilen eine Rückbesinnung auf alte Zeiten, ohne diese zu kopieren. ~ Daniel Dreßler (teleschau) aufklappen »
"Progressiv" ist die wohl am häufigsten genutzte Vokabel, wenn es darum geht, Barbieris kunstvoll gewebte Klangteppiche zu beschreiben. Seine surreal-verträumten Sounds, die er schon zu Japan-Zeiten erschuf, haben bis heute Bestand. So hat beispielsweise der Sender BBC für einen Werbespot den Song "Ghosts" wieder ausgegraben - knapp 30 Jahre, nachdem das Lied erstmals erschienen ist. Bei Barbieri sind die Synthesizer keine reinen Rhythmusmaschinen, die bloß auf Tanzbarkeit geeicht werden und in einer Endlosschleife wohlgefällige, aber wenig inspirierte Melodien von sich geben. Vielmehr scheinen die Synthesizer ihre Geschichten erzählen zu wollen, und Barbieri lässt ihnen den nötigen Raum.
Auf "Stranger Inside", Barbieris zweitem Soloalbum, trifft ein ausgefeiltes Drum-Programming auf verspielte Melodien, durchsetzt von verfremdeten Sprachsamples, die ihre semantische Bedeutung völlig verloren haben, um nur noch der Komposition als Klangquelle zu dienen. Barbieris Songs pendeln dabei zwischen perkussiver Hektik ("Cave") und melancholischer Langsamkeit ("Decay"). Dazwischen verweist der Keyboarder in "Abyssyn" und "Retina Blur" auf seine fruchtbare Zeit mit Japan. Die in die europäische Liedstruktur dezent verwobenen, fernöstlichen Arrangements haben die Band seinerzeit berühmt gemacht.
Das neue Album des Melodienmagiers ist vielschichtig, verliert sich aber nicht in einem unüberschaubaren Stilmix. Trotz der Unterschiedlichkeit der neun Lieder eint sie eine ganz eigenartige Melancholie. Richard Barbieri malt auf "Stranger Inside" Seelenbilder, die so beängstigend und schön zugleich sind, dass man sich ihnen nicht entziehen kann, und die einen immer weiter in den Sog einer einzigartigen, surrealen Klangwelt ziehen.