Dass sich moderne Popmusik nicht nur durch ihre Inhalte, sondern in erster Linie über große Namen definiert, dürfte bekannt sein. Gerade Platten aus dem sogenannten Urban-Bereich wirken manchmal so, als ob da jemand von der Plattenfirma einfach mal mit dem Einkaufswagen durch den Unterhaltungs-Megastore gefahren wäre und alles eingepackt hätte, was das Budget so hergab. Dass Rihanna, neben Lady Gaga wohl der schillerndste weibliche Solokünstler der letzten drei, vier Jahre, nach diesem Prinzip arbeitet, war also klar. Ob es "Rated R" zu einer guten Platte macht, ist nicht unbedingt die Frage - die erwartete Größe besitzt das vierte Studioalbum der Frau aus Barbados auf jeden Fall. ~ Jochen Overbeck (teleschau) aufklappen »
Rihanna selbst besitzt diese Größe ohnehin. In den letzten drei Jahren machte die heute 21-Jährige eine bemerkenswerte Wandlung durch. Die Prügelattacke ihres Ex-Freundes, des R'n'B-Sängers Chris Brown, meisterte sie zumindest, was die öffentliche Aufarbeitung anging, auf souveräne Art und Weise. Gleichzeitig erstaunte sie durch immer wunderlichere Outfits und raffinierte Frisuren. Was nach Dingen klingen mag, die ausschließlich an der Oberfläche passieren, kann durchaus auch als emanzipatorisches Statement, als Ausbruch aus der optisch eigentlich sehr genau definierten Welt des R'n'B verstanden werden.
Dass sie auf "Rated R" erstmals umfänglich am Songwriting beteiligt war, passt da gut. Dass sie sich ansonsten in Sachen Produktion und Songwriting vom üblichen Dutzend Hochkaräter unterstützen ließ, birgt indes Gefahren. Denn auch wenn Routiniers wie The Dream, Stargate, will.i.am, Justin Timberlake oder Tricky Stewart ihre Fähigkeiten oft genug bewiesen - eine Materialschlacht bleibt eine Schlacht, und da schlägt man ab und an daneben. So gibt es gleich zwei Stücke auf dem Album, bei denen man sich fragt, was das denn bitte schön soll: "Rockstar 101" etwa ist eine Zusammenarbeit mit Slash und klingt genau, wie man es erwartet. Hardrock-Surrogate treffen auf die üblichen Elektro-Beats, dazu kommen einfältige Textfetzen aus der Danebenbenehm-Klischeekiste. "Got my middlefinger up, I don't give a fuck": Schon, klar Rihanna. Auch der zweite Totelausfall ist der kaum glaubwürdige Versuch einer Persönlichkeitsdefinition. "G4L" bedeutet "Gangster For Life" und ist wirklich ganz, ganz schlimmer Unsinn.
Schade eigentlich, denn sonst gelingt es Rihanna fast immer, mit ihren Songs so eine Art Allgemeingültigkeit zu evozieren. So ist die erste Singleauskopplung "Russion Roulette", die Rihanna gemeinsam mit Ne-Yo schrieb, zwar groß inszenierter und inhaltlich durchaus ambivalenter Mainstreampop, der aber auch in abgespeckter Version funktionieren würde. Auch das gemeinsam mit will.i.am von den Black Eyed Peas komponierte und eingespielte "Photograph" und das Justin Timberlake zuzuordnende "Cold Case Love" mit seiner warmen Orgel sind mehr als nur Dutzendware. Das richtig gute, in jeder Sekunde wichtige Pop-Album ist "Rated R" noch nicht - eine trotz erwähnter Schwachstellen im höchsten Maße ordentliche Veröffentlichung aber auf jeden Fall. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass Rihanna eben gerade mal 21 Jahre alt ist.