Wenn einer in fremden Gefilden wildern darf, dann ist es er - Rolando Villazón. Eben noch in den musikalischen Ebenen Spaniens zugange ("Zarzuelas"), meldet sich der mexikanische Weltklasse-Tenor nun rechtzeitig zum 250. Todestag (14. April) des in Halle geborenen Sachsen und späteren Engländers Georg Friedrich Händels (alias George Frederic Handel) mit einer Auswahl aus dessen Opernarien zurück. Villazón weiß, auf welch gefährliches Gelände er sich da wagt - das der jüngst wieder in Mode gekommenen hellen Countertenöre und der höfischen Kastraten. Dass Villazón dabei kein Trittbrettfahrer beim Jubiläumsanlass ist, beweist seine CD. Hat man sich erst an die dunklere Klangfarbe des lyrischen Verdi- und Puccini-Tenors gewöhnt, wird diese Platte ein Fest. ~ Hans Czerny (teleschau) aufklappen »
Dabei kommt Villazón die theatralische Ausdruckskraft seiner Stimme zugute. Egal, ob es sich nun um den osmanischen Sultan Bajazet in der Oper "Tamerlan" handelt, der die Demütigung des Besiegten nicht erträgt, oder um den Gewaltherrscher Grimoaldo, der sich in "Rodelinda" in die Tochter des von ihm gestürzten Königs verliebt: Villazón gelingt es, mit exakter Phrasierung die jeweiligen Situationen zu evozieren. Was erst recht für die lyrische Arie aus der Oper "Xerxes" gilt, in welcher der Titelheld seine Liebe zu einer Schatten spendenden Platane in der berühmten Larghetto-Arie "Ombra mai fu" besingt. Die von Villazóns Temperament gesteuerte Wut der Schlussarie (weil der Bruder die Geliebte liebt) fährt indessen unter die Haut. "Grausame Furien ('Crude furie') der Hölle, benetzt mich mit eurem grässlichen Gift!" - mit dieser Bravourarie ist Villazón nun ganz in seinem Element. Tempo, Pathos und die Klarheit der Diktion gehen meisterlich zusammen.
Die mit Sorgfalt ausgewählten Arien wirken in ihrer Leidenschaftlichkeit und Dramatik allerdings auch wie für Villazón geplant. Solch monströse Seelenqualen hört man in späteren Opernwerken nur selten. Dass die Arien aus "Ariodante" ursprünglich für einen berühmten Kastraten (Carestini) geschrieben sind, macht Villazón übrigens glatt vergessen.
Nach eigenen Worten (in der beigefügten DVD, dort sind drei weitere Aufnahmen versammelt) verdankt der Sänger der Zusammenarbeit mit dem Dirigenten der ihn begleitenden Gabrieli Players, Paul McCreesh, außerordentlich viel - was man gerne glaubt. Doch die Befruchtung dürfte wechselseitig gewesen sein - das Ergebnis lässt es keineswegs nur ahnen.