Die offizielle Aufnahme in die Weltspitze der Popmusik erfuhren die Scissor Sisters am 4. November 2006, als sie bei Thomas Gottschalks "Wetten, dass ..?" gastierten. Ihr "I Don't Feel Like Dancing" intonierten sie vor einer prächtigen Kuckucksuhr, Gottschalk riss seine Hände in die Luft, und Jake Shears machte dem Showmaster ein Kompliment für seine Garderobe. So schwul war das Mutterschiff des deutschen Unterhaltungsfernsehens selten. Und so Mainstream sind die Scissor Sisters jetzt nicht mehr. Ihr dritter Longplayer "Night Work" ist natürlich ein Pop-Album. Aber eben eines, das mehr mit Stimmungen arbeitet als sein Vorgänger und den Themenkomplex Disco, Drogen und Sex so stark in den Mittelpunkt stellt, wie das eine Platte eben tun muss, deren Initialzündung angeblich eine Nacht im Berliner Techno-Tempel Berghain war. ~ Jochen Overbeck (teleschau) aufklappen »
Bedeutet: "Night Work" findet ein ganzes Stück näher am Club statt und definiert sich über weite Strecken vor allem über eine Art von Hedonismus, die ohne den Kegelclubreisen-Appeal von "I Don't Feel Like Dancing" auskommt und stattdessen freundlich Richtung Darkroom zeigt. Statt seliger Schlager-Melodie gibt's präzise inszenierten Disco-Kraftpop, der Jake Shears' Kopfstimme satt umwickelt, sich dabei aber bei aller Vielfalt meistens auf irgendeine Art des Keyboards und den Beat verlässt. Doch drin steckt alles, was gut ist: Kraftmeier-Gitarren im Opener, Italo-Referenzen in "Whole New Way", Paul-McCartney-Solopop in "Fire With Fire", in "Invisible Light" ein gutes Stück Pet Shop Boys. Für Stringenz sorgte Produzent Stuart Price, der vor fünf Jahren den Klang Madonnas neu designte ("Confessions On A Dance Floor") und selbst der Band Zoot Woman vorsteht, die wiederum vor Jahren die Scissor Sisters in ihr Vorprogramm packte.
Das Pop-Verständnis von Stuart Price, sein Talent, so eine Art akustische Schwüle zu schaffen, passt gut zu den schlüpfrigen Texten von Jake Shears. "Any Which Way" etwa ist eine nette Abhandlung über den sexuellen Markt der Möglichkeiten, über Beischlaf vor Kamin, Yacht und den eigenen Eltern. "Sex And Violence" ist ein Eurodance-beeinflusster Song über - nun ja - Sex und Gewalt. Und in "Night Life" geht es um das große Ganze, um den Untergrund und alles, was dort passieren kann. Mit den Menschen, mit ihren Köpfen, mit ihren Körpern. Das ist nicht "Wetten, dass ..?", sondern könnte der Titelsong einer sehr speziellen Operette sein, vielleicht auch ein Track, der einen ARTE-Themenabend Disco untermalen könnte. Macht aber unbedingt Sinn, wie das ganze Album.
Scissor Sisters auf Deutschland-Tournee
09.07, Berlin, Huxley's
13.07., Köln, Live Music Hall
20.07., München, Muffathalle