Mit dem Albumtitel "I Started Out With Nothing And I've Still Got Most Left Of It" dürfte Seasick Steve nicht nur einen Preis für den längsten Albumtitel, sondern auch noch gleich einen für den langsamsten Karrierestart des Jahrzehnts gewinnen. Immerhin war der gebürtige Kalifornier 60 Jahre alt, bevor er sein erstes Album aufnahm. ~ Kati Hofacker (teleschau) aufklappen »
Obwohl Seasick Steve kernigen, handgemachten Folk und vor allem Blues spielt, ist er eigentlich zu jung für seine Musik. Aber auch zu alt! Denn der Odem, der durch einige seiner bluesigen Songs weht, erinnert stark an uralte Delta-Blues-Songs aus der Zeit der Großen Depression. Andere Riffs und Tracks wiederum wirken so knackig und jung, dass man verwundert ist, wenn man den langbärtigen, grauen alten Zausel dazu erblickt, der diese Töne produziert,
Storys über Seasick Steve, den Clochard, Gelegenheitsarbeiter und Hobo machen bereits seit seinem Debütalbum 2004 die Runde. Er tingelte, jobbte in Europa als Straßenmusiker, landete hier und dort, und erst als der Grunge explodierte - und Steve zufällig ein Studio nahe Seattle hatte - schaffte er es zu bescheidenem Wohlstand. Seine heimwehkranke norwegische Frau schleppte ihn und die drei Söhne 2001 nach Oslo (per Schiff, daher der Name "Seasick"), wo er durch einen Zufall an die richtigen Leute geriet. Der Rest ist schöner als ein Märchen: Steve Wold (so sein richtiger Name) schaffte es mit seiner unverstellten, völlig geradlinigen Bluesmusik, zwei Alben zu lancieren, "Cheap" (2004) und "Doghouse Music" (2006). Diese entfachten Begeisterungsstürme vor allem durch pfiffige, trendige DJs in England, landeten in den Indie-Charts ernteten einen MOBO-Award. Sein vorliegender Neuling mit dem Endlosnamen kletterte sogar auf Platz zwei der UK-Charts und wurde für einen Brit-Award nominiert. Zurecht, denn die Vielseitigkeit, mit der Steve das recht einseitige Genre Blues bearbeitet ist bemerkenswert.
"St. Louis Slim" könnte direkt im Soundtrack von "Easy Rider" Platz finden, "Happy Man" scheint aus New Orleans oder von Dr. John zu stammen, andere Songs wiederum repräsentieren ur-archaischen Delta-Blues. Dann wieder rocken ein paar elektrifizierte Blueskracher so zeitgemäß, dass es so gar nicht recht zum "Catweazle"-Look des Protagonisten passen möchte. Dass-Klein Steve aber bereits mit sieben Jahren Gitarrenunterricht bei einem Musiker des Mississippi-Bluesmanns Tommy Johnson bekam, dürfte aber seinen weiteren Lebensweg mitgeprägt haben.
"Die Leute haben die Nase voll davon, dass alles so schick und bunt ist", erklärt sich Steve seinen überraschenden, späten Erfolg in Nordeuropa. Dass der unschicke, unbunte Kauz gute, kernseifengewaschene, echte und doch überraschend zeitgemäße Songs spielt, dürfte aber zusätzlich und nicht unwesentlich an seinem Erfolg beteiligt sein.