"Wir werden von einem Leiden nur geheilt, indem wir es bis zum Letzten auskosten", behauptete der französische Romancier Marcel Proust einst. Demnach steht zu hoffen, dass es der 18-jährigen Österreicherin Anja Plaschg alias Soap & Skin inzwischen wieder besser geht. Denn selten sind Sensibilität und Schmerz so spürbar gewesen, wanderten Songs auf solch einem schmalen Grad zwischen absoluter Hin- und fast schon Angst machender Selbstaufgabe wie auf dem Debütalbum "Lovetune For Vacuum" dieser jungen Songwriterin. ~ Stefan Weber (teleschau) aufklappen »
Die - in jeglichem Sinne des Wortes zu verstehende - Zerrissenheit ihres Debüts zieht sich auch durch ihre Lebensgeschichte. Mit zerrissenen Klamotten und "nihilistischer Attitüde" (so das Presseinfo) fühlt sich Plaschg in der ländlichen Südsteiermark, wo ihre Eltern einen Schweinemastbetrieb besitzen, schon früh als Außenseiterin. Sie übt bis zu zwölf Stunden Klavier, flüchtet zunächst in die Musik, später nach Wien, um dort an der Akademie der Bildenden Künste zu studieren. Merkt aber schnell, dass ihre beste Ausdrucksmöglichkeit die Musik ist.
Denn für eben jene braucht Plaschg auch kaum mehr als sich selbst. Meistens nur ihr Piano und ihre Stimme, die vom selbstvergessenen und unverständlichen Murmeln über die deutlich artikulierte Klage bis hin zur kunstvoll übersteigerten Kopfstimme alle Tonarten beherrscht. Bei "Sleep" und "Fall Foliage" dürfen Drumbeats und Maschinengeräusche mal sanft scheppern, dann wieder (ver)stören. Hier und da erklingen Violine und Cello, Akkordeon und Flöten lindern bei "Cry Wolf" sogar ein wenig die melancholische Grundstimmung. Das erinnert oft angenehm schmerzhaft an Scout Niblett oder gar PJ Harvey. Wo bei jenen Künstlerinnen Trauer auch schnell in Aggression umschlagen kann, ergibt sich Plaschg hingegen völlig. Schreibt Songs mit vielsagenden Titeln wie "Thanatos" (Freuds Bezeichnung für den Todestrieb), "Extinguish Me" (so etwas wie "Lösch mich aus") oder "Marche Funèbre" (französisch für Trauermarsch).
Deswegen lässt sich "Lovetune For Vacuum" wahrscheinlich auch nur ganz oder gar nicht rezipieren. Wer aber das Leid und die darin wohnende Leidenschaft von Plaschgs Musik bis zum Letzten auskostet, wird womöglich tatsächlich geheilt.