Wer Google den Begriff St. Vincent in den suchenden Schlund wirft, erhält vor allem Informationen über das karibische Inselparadies St. Vincent und die Grenadinen. Einer jener Staaten, an die man alle vier Jahre beim Einmarsch der Nationen während der Eröffnungszeremonie Olympischer Spiele mit einer knuffigen Kleinstabordnung erinnert wird. Viel mehr Aufmerksamkeit hätte auch eine Künstlerin verdient, die sich ebenfalls St. Vincent nennt. Aus Texas stammt sie, einem gar nicht so weit von den westindischen Inseln gelegenen Ort. Noch ist ihr elektronischer Songwriter-Pop ein Geheimtipp, doch ihr beeindruckendes zweites Album "Actor" darf man ohne auch nur ein bisschen zu übertreiben als ganz großen Wurf bezeichnen. ~ Eric Leimann (teleschau) aufklappen »
Vor zwei Jahren veröffentlichte die zerbrechlich-attraktive Sängerin mit den dunklen Locken ihr Songwriter-Debüt "Marry Me", das mit Kritikerlob überschüttet wurde. Die Songs der mittlerweile in New York lebenden St. Vincent, die eigentlich Annie Clark heißt, waren ein wenig verschrobener, kurioserweise aber auch einnehmender als die Standardware von der Indie-Theke. "Actor" ist nun ganz große Popkunst: Verschwenderisch schöne Melodien in komplex arrangierten Klangbildern, die viel mehr an großes Kino als an das schnöde Wort vom elektronisch inspirierten Songwriter-Pop erinnern. Selten klangen verdrechselte Studiotüfteleien so warm, was zum einen an St. Vincents außergewöhnlich schmeichelnder Stimme und zum anderen an den wunderbar wundersamen Arrangements liegt.
So in etwa hätte sich das letzte Portishead-Album anhören können, wenn man sich für das Leben und gegen den Untergang entschieden hätte. Vor ihrer Karriere unter eigenem Namen war Multi-Instrumentalistin Annie Clark an Projekten von Sufjan Stevens, The Polyphonic Spree und Avantgarde-Zar Glenn Branca beteiligt. Irgendwo in der gedachten Mitte dieser Stil-Unikate liegt die ebenfalls unverwechselbare Kunst St. Vincents. Liebhaber des ganz großen Sounds seien dennoch gewarnt. Der cinematografisch geprägte Pop St. Vincents mag zwar auf Platte atemberaubende Klangwelten erzeugen, live tritt die zierliche Künstlerin aber auch mal alleine mit Gitarre oder Piano auf. Ihrem traumwandlerisch sicheren Pop kann aber selbst diese Arrangement-Diät nichts anhaben.