Die Avantgarde der alten Männer. Bei David Byrne und Brian Eno mag die späte Klangforschung noch als logische Fortführung eines lebenslang gepflegten Kunstverständnisses durchgehen. Im Falle Paul McCartneys wird man immer gleich hellhörig. Die ganze Aufregung um die jüngst geplante Veröffentlichung des verschollenen Beatles-Experimental-Songs "Carnival Of Light" zeigt einmal mehr, wie sehr McCartney darum bemüht ist, seine pophistorischen Meriten ins rechte Licht zu rücken. Die wirklich innovativen Sachen, will er sagen, die habe ich angeschoben. ~ Jens Szameit (teleschau) aufklappen »
Die Wiederbelebung seines obskuren Avantgarde-Zweiers The Fireman passt da wieder gut ins Bild. Zuletzt spielte McCartney 1994 und 1998 mit Produzent und Ex-Killing-Joke-Bassist Youth zwei ambitionierte Ambient-Platten ein. Mit "Electric Arguments" ist das Konzept des Seitenprojekts noch einmal offener geworden - und erstmals bei Stimme. Und den Überraschungseffekt des neu integrierten Gesangs spielen The Fireman auch mit Nachdruck aus: "Nothing Too Much Just Out Of Sight" tritt die Tür ins Album unerwartet heftig auf: Hindurch stürmt ein wildes Blues-Ungetüm, das Macca erst grölend, dann jaulend durchwatet wie einst seinen Beatles-Proto-Punk "Helter Skelter".
"Two Magpies" nimmt anschließend gleich wieder den Verve raus, pluckert schön und unsentimental wie die Folk-Miniaturen in "Ram", McCartneys vielleicht einzigem Soloalbum von Rang. Auch "Sing The Changes", ein fluffiger bis schwereloser Ambient-Popsong, biegt spielend auf die Habenseite ein, ehe der in Teilen verquaste Weihnachtssermon "Travelling Light" erstmals Kopfschütteln auslöst. "Highway" ist schlichter Rock'n'Roll, den der Balladendichter ja nie ganz aus den Augen verloren hat, "Light From Your Lighthouse" sodann das größte Ärgernis der Platte: ein Banjo-begleiteter Unfug im Stil der Berliner Country-Karikaturen The BossHoss.
Wenngleich beabsichtigt ist der stete Wechsel zwischen den Stilen und Stimmungen die größte Herausforderung dieser durchwachsenen Platte, die vor allem von ihrem exzellenten Klangbild lebt. Letzteres beflügelt insbesondere "Sun Is Shining" und "Dance 'Til We're High", mit denen McCartney lyrisch im Seichten fischt, aber eben auch das klassische Popmetier absteckt, das er an guten Tagen beherrscht wie kaum einer sonst.
Zugestanden: Ob es nun die esoterischen Flöten in "Is This Love?" unbedingt gebraucht hätte, darf man schon anzweifeln. Ebenso, ob der mit Goa-Beats unterlegte "Riders On The Storm"-Verschnitt "Lovers In A Dream" der Weisheit letzter Schluss ist. Doch eine beeindruckend unbeirrte Sehnsucht nach Neuland kann man den älteren Herren durchaus attestieren. Keine Frage: Paul McCartney, der große Peinliche unter den genialen Songschmieden hat sich weiß Gott schon schlimmer kompromittiert.