Im Verlauf eines Jahres kann viel passieren. Klingt nach einer Floskel, trifft auf die Musikerin Tori Amos aber zu. Ihren Wandel von einer schüchternen Sängerin zur selbstbewussten Künstlerin dokumentiert die Musik-DVD "Tori Amos - Live at Montreux 1991/1992". Bei ihrem ersten Auftritt beim renommierten Schweizer Festival war die nervös wirkende, rothaarige Sängerin gänzlich unbekannt und lediglich Vorband für "The Moody Blues". Nachdem ihr Album "Little Earthquakes" wenige Monate später ein Verkaufsschlager wurde, kannte jeder Musikfreund den Namen Tori Amos. 1992 trat sie dann mit ähnlicher Setliste zum zweiten Mal in Montreux auf, aber nun stand sie im Mittelpunkt. ~ Florian Koch (teleschau) aufklappen »
Der erste Song ihres Soloauftritts 1991 in Montreux passt bestens auf die bisherige Musikkarriere von Tori Amos: "Silent All These Years". Die ausgebildete Pianistin und Sängerin tingelte mit ihren Songs jahrelang erfolglos durch Nachtclubs, bis sie 1985 die Rockband "Y Kant Tori Read" gründete. Doch ihr Album floppte und Tori Amos besann sich wieder auf ihre Stärken: intensive Piano-Songs, gesungen mit kraftvoll-klarer Stimme. Mehr braucht es nicht, um das Publikum in seinen Bann zu schlagen, was bereits ihr erster Auftritt in der Schweiz beweist.
Vor einem Berg an Instrumenten (für den Hauptact "The Moody Blues") verschwindet die zierliche Sängerin fast im sparsamen Lichtkegel. Mit scheuem Blick und spürbarem Respekt vor dem großen Publikum singt sie mit glockenklarer Gänsehautstimme wunderbar-traurige Balladen wie "Crucify" oder "China". Sprechen traut sie sich zwischen den Titeln kaum, immer wieder sucht ihr Blick nach Halt in der muxmäuschenstillen Halle. Bei "Happy Phantoms" bricht sie kurz ab, denn plötzlich ist der Text weg. Beim zweiten Versuch klappt es dann und am Ende des Konzerts fasst Amos den Mut, sich an Led Zeppelins "Thank You" zu wagen.
Ganz anders Tori Amos ein Jahr später an gleicher Stelle. In einem roten Oberteil betritt sie die Bühne, in dessen Zentrum nur ihr Klavier thront. Keine Spur mehr von Schüchternheit. Voller Feuereifer ergänzt sie die Songs des vergangenen Jahres mit "Little Earthquake" und dem energischen Nirvana-Cover "Smells Like Teen Spirit". Immer wieder schaut sie mal spöttisch, mal sinnlich ins Publikum, bindet sich in aller Ruhe einen Zopf oder erzählt Geschichten über heimliche Werber. Neben einem nur gehauchten "Me And A Gun" zeigt Amos sehr zur Freude des Publikums mit "Whole Lotta Love" auch wieder ihre Verehrung für Led Zeppelin.
Technisch gibt es an der DVD wenig zu kritisieren. Der Sound kommt gut abgemischt und ohne Rauschen aus allen Boxen. Trotz schummrigen Lichts kann auch die Bildqualität überzeugen, Unschärfen sind kaum zu erkennen. Die Regie hält sich mit Inszenierungsmätzchen angenehm zurück. Die wenigen Schnitte und gelungenen Überblendungen werden der Ausnahmekünstlerin vollends gerecht. Einziges Manko: Bei der DVD wurde auf Extras völlig verzichtet.