Mal ein bisschen Küchenpsychologie. Das letzte Usher-Album hieß "Here I Stand" und zeigte den Mann aus Atlanta - zumindest sagte er das - als reifen, gestärkten und selbstbewussten Familienvater. Die Familie gibt's nach der Trennung von Ehefrau Tameka Foster nicht mehr, deshalb: "Raymond v Raymond". Einmal: Klar, stand das sicher so oder so ähnlich beim Scheidungstermin auf der Gerichtsakte. Andererseits: der innere Kampf. Zerrissenheit und Perspektivlosigkeit. Das lässt sich leider auch auf die Musik umrechnen. Dass die Vorab-Singles floppten und die Veröffentlichung des sechsten Studioalbums von der Plattenfirma diverse Male geschoben wurde, passt gut ins Bild, denn der "new Usher", wie er in "She Don't Know" angekündigt wird, kann nicht wirklich neue Akzente setzen. ~ Jochen Overbeck (teleschau) aufklappen »
Nun ist R'n'B nicht erst in den letzten Jahren zu einem Genre geworden, in dem nicht mehr der veröffentlichende Künstler selbst über die Qualität seiner Platte entscheidet. Die Produzententeams und Featuregäste sind daran in einem ganz ähnlichen Maße beteiligt. Dass das Ergebnis zu einem gewissen Gleichklang führt, dürfte klar sein. Dass ein eigentlich talentierter Künstler dermaßen links in den Kopf rein und rechts wieder rausrauscht, überrascht dann doch. In ruhigeren Stücken wie "Mars vs Venus" fällt das am ehesten auf. Denn da geht's irgendwie um Sex. Und wenn's um Sex geht, denkt man eben an R. Kelly, der eine ähnliche Stimme hat und sich ganz ähnlich produzieren lässt.
An anderer Stelle war Usher besser beraten: "Pro Lover" rollt auf einem reduzierten Beat, den Tricky Stewart zimmerte, der schon für Beyoncés "Single Ladies (Put A Ring On It)" verantwortlich zeichnete. "Papers", wohl so eine Art Abrechnung mit der ehemaligen Ehefrau, kommt als verblüffend erwachsene Soul-Ballade mit starken Vocals, "Lil Freak" ist ein nettes Duett mit der Rapperin Nicki Minaj, von der man in den nächsten Monaten noch einiges hören durfte. Und Black-Eyed-Pea will.i.am schneiderte "OMG", einen musikalisch hübschen Hybrid aus europäisch angehauchten Clubsounds und R'n'B, der inhaltlich aber so redundant ist, dass er schon beim zweiten Hören nervt.