New Yorks neueste Romantik
Das schwedisch-amerikanische Bandprojekt um Cardigans-Sängerin Nina Persson liebt die ganz große Geste
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New Yorks neueste Romantik
Das schwedisch-amerikanische Bandprojekt um Cardigans-Sängerin Nina Persson liebt die ganz große Geste
20.03.2009 "Schönheit ist der neue Punkrock", bringt Niclas Frisk eine nicht unwichtige Strömung derzeitiger Popmusik auf ein griffiges Slogan-Format. Gemeinsam mit Nina Persson, Sängerin der Cardigans, und dem amerikanischen Filmkomponisten Nathan Larson betreibt der vollbärtige Schwede die Teilzeitband A Camp. In ästhetischer Blutsbrüderschaft zu Rufus Wainwright oder Antony and the Johnsons wildern A Camp im Vermächtnis romantischer Musikstile der letzten 100 Jahre: von der Welt des Cabaret in den Schoß der Country Music, vom Broadway hinüber zur "Wall of Sound" eines Phil Spector. Ein Überschwang an Gefühl und dessen Entäußerung sind bei A Camp ebenso Konzept wie ein multikultureller musikalischer Flickenteppich. "Der coole Rock der Neunziger passt einfach nicht mehr in unsere Zeit", konstatiert Nathan Larson, der früher mal in exakt einer solch kühlen Band spielte - Shudder To Think war ihr Name. Und seine Ehefrau Nina Persson pflichtet bei: "Ich hasse in der Tat nichts so sehr wie Ironie". Haben wir da etwas falsch verstanden? Galten The Cardigans nicht immer als Musterband der ironischen Neunziger? Alles nur ein großes Missverständnis, sagen die Gefühlssoldaten von A Camp.
Bereits 2001 gab es ein erstes Lebenszeichen von A Camp. Das wunderschöne und leider dramatisch unterbewertete Debütalbum, das so hieß wie die Band selbst, war eine countryeske Perle mit großartigen Liedern im Stile von Gefühlsirenen wie Lucinda Williams, Patsy Cline oder Judy Collins. Damals dachte man, dass A Camp lediglich das Soloprojekt der Cardigans-Sängerin Nina Persson wäre, die mit Neu-Ehemann Larsson gerade in die USA gezogen war und die Musikkultur der "Neuen Welt" für sich entdeckt hatte.
"Richtig ist", sagt Nina Persson, "dass A Camp eine rein skandinavische Idee zwischen Niclas und mir war. Als typisch melancholische Schweden, die immer ein wenig neidisch in die USA, das Land der großen Musikgefühle schauen, hatten wir etwa 1997 diese alten Country-Sängerinnen entdeckt. Da war keine Distanz in ihren Liedern, sie hatten keine Angst vor Gefühlen, alles war frei von Ironie." Seit dieser Zeit hat Nina Persson - wie sie selbst sagt - ihren Gesangsstil deutlich verändert. "Meine frühere Ästhetik war eine sehr minimalistische. Die Country-Sängerinnen haben mich dazu inspiriert, größer zu singen. Ich habe sogar mein Vibrato trainiert."
Nun war das A Camp-Werk von 2001 seiner Zeit vielleicht ein wenig voraus, denn mittlerweile sind die großen Gefühle wieder "in" im Pop. Die Baustelle Country haben A Camp jedoch längst hinter sich gelassen. "Damals machten wir in Europa eine Platte, die von amerikanischer Musik beeinflusst war", erinnert sich Niclas Frisk. "Nun haben wir ein Album in New York und Umgebung aufgenommen, das sich bei ganz unterschiedlichen europäischen Musikstilen bedient. Wobei man natürlich nicht vergessen darf, dass auch Amerika als Einwandererland sehr viele europäische Traditionen in seiner Musik verarbeitet hat."
In der Tat erinnern die zwölf Songs auf "Colonia" mehr an ein Potpourri, das vielleicht einer New Yorker Bühnenrevue entnommen sein könnte, denn an ein Popalbum. "Unsere Einflüsse sind das Berliner Cabaret der Weimarer Republik", berichtet Soundtrack-Spezialist Larson und schwärmt von "Kostümen und Verwandlungen, dem Spukhaften jener Jahre." "Colonia" ist ein Album der großen Gesten. Und er gibt zu, dass New York derzeit ein guter Ort dafür ist. Zusammen mit Ehefrau Persson und seinen Eltern hat er kürzlich ein Haus in der rein schwarzen Nachbarschaft Harlems bezogen. "Künstler wie Rufus Wainwright, Anthony Hegarty oder meine Freundin Joan Wasser von Joas As Police Woman haben den Leuten gezeigt, dass es sich musikalisch lohnt, seine Gefühle wieder ganz direkt zu zeigen. Die einzige Verbindung zwischen unseren beiden A Camp-Platten ist, dass wir uns dreien erlauben, gefühlvoll ohne Schranken zu sein, auch wenn wir dabei melodramatisch werden."
Tatsächlich klingt "Colonia" mit seinen Glocken, Geigen und kreativen Schmalzbergen ein wenig, als würden die bombastischen Produktionsideen, die tausendundein Mal durchgeschüttelten Anleihen aus hundert Jahren Popgeschichte, dem ein oder anderen Song fast ein bisschen die Luft abschnüren. Die referentielle Lust am Zitat macht das neue Werk von "A Camp" aber dennoch zu einem vergnüglich konsumierbaren Setzkasten westlicher Musikzitate.
"Wir sind wie die 'Time Bandits' aus Terry Gilliams gleichnamigen Film", findet Niclas Frisk einen durchaus treffenden Vergleich. "Wir reisen durch die Geschichte und bringen alles ein bisschen durcheinander." Und Nina Persson fügt hinzu: "Wir bringen aber auch Dinge in Ordnung, wo sie sich in eine falsche Richtung entwickelt haben. Dort, wo wir denken, dass eine Weiterentwicklung dieses und jenes Stils, der auf der Strecke blieb, durchaus wünschenswert gewesen wäre." Die Geschichtsschreibung von A Camp ist sicher keine korrekte. Eher eine, die sich drei besessen stöbernde Künstler erträumt haben. Für Träume freilich ist New York immer schon ein guter Ort gewesen. ~ Eric Leimann (teleschau)
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