"Dann bin ich jetzt eben ein Dinosaurier"
Von Ideal bis Ich + Ich: Annette Humpe wird 60
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"Dann bin ich jetzt eben ein Dinosaurier"
Von Ideal bis Ich + Ich: Annette Humpe wird 60
09.11.2010 Erst mit 30 kam der große Erfolg. Damals sorgte Annette Humpe als Sängerin der stilprägenden deutschen Formation Ideal für Furore. Heute ist sie froh, dass sie die Popularität erst so "spät" erwischt hat und sie schon gefestigt war. Seitdem gehört Humpe zu den festen Größen der deutschen Popmusik. Anlässlich ihres 60. Geburtstags am 28. Oktober liefert das Doppelalbum "Zeitgeschichte" einen Querschnitt ihres Schaffens als Musikerin (Ideal, Humpe & Humpe, Ich + Ich) und Produzentin und Songwriterin (Die Prinzen, Udo Lindenberg). Glücklich über ihr Jubiläum ist sie indes nicht. 60 ist unsexy. Aber Annette Humpe macht weiter und erklärt, warum sie Projekte abbricht. Bevor sie aus ihrem ironie- und nostalgiefreien Leben erzählt, sucht sie den Aschenbecher und stellt dafür die Süßigkeiten zur Seite. Ganz, ganz weit weg.
Wie viel Melancholie überfällt Sie, wenn jetzt Ihr 60. Geburtstag ansteht?
Humpe: Die Zahl ist die Pest, aber was soll ich machen? Es ist nun mal so. Wäre albern, wenn ich jetzt sagen würde: Ich bin 53. Erstens steht es überall, und zweitens habe ich keine Lust, mein Alter im Dunkeln zu lassen. Deshalb: Ich bin 60 und ich hoffe, dass ich 70 werde.
Wie war es denn beim 50.?
Humpe: Da habe ich mir auch schon auf die Lippe gebissen, dachte, klingt nicht hübsch, aber wenigstens keine 60. Diese Zahl ist so unsexy! Von wegen, das macht nichts, Unsinn. Es ist doof. Männer werden in der Popmusik eben älter, bei Keith Richards stört es niemanden, wenn er mit 70 auf der Bühne steht. Aber Frauen gibt es kaum.
Bei Frauen ist schnell von Würde die Rede, und eigentlich kann man es nur falsch machen ...
Humpe: Ja, es wird immer nur genörgelt, und mir fällt keine Frau ein, die diesen Beruf mit 60 aktiv ausübt. (Pause) Gut, dann bin ich jetzt eben ein Dinosaurier.
Die gute Nachricht: Man hat vieles überlebt, oder?
Humpe: Oh ja, ich habe einiges überlebt, sogar den Tsunami auf Sri Lanka. Ich war schnell genug auf dem Berg. Das ist etwas, das sich durch mein Leben zieht: Ich bin ein Glückskind.
Sie meinen, ohne Krisen?
Humpe: Doch, klar hatte ich die. Ich kann mir ein Leben ohne Krisen nicht vorstellen, und sie haben vor allem auch etwas Schönes. Man kommt wie Phoenix aus der Asche aus ihr hervor. Da mich eine Krise weiterbringt, heiße ich mittlerweile jede, die auf mich zukommt, willkommen: Aha, da bist du ja, denke ich mir dann und mache mich fertig zum Durchschwimmen.
Verfallen Sie schnell in Ungeduld und Krisenstimmung?
Humpe: Bei der Arbeit überhaupt nicht, da habe ich eine große innere Ruhe, traue meiner Intuition. Das kann ich gut. Ungeduldig werde ich eher bei Freunden oder im ganz banalen Alltag.
Sie sind ja auch Geschäftsfrau ...
Humpe: Nein, das täuscht. Ich habe weder ein Unternehmen noch einen Manager. Ich zahle richtig viel Steuern, weil ich da alles falsch mache, aber Geld interessiert mich nicht. Verträge unterschreibe ich, ohne sie durchzulesen.
Okay, wie sehen Sie sich dann?
Humpe: Ich sehe mich als Songwriterin. Wenn ich Künstler produziere, habe ich meist auch Lieder für sie geschrieben. Junge Musiker, die mich ansprechen oder meine Nummer rauskriegen, dürfen mir in meiner Küche ihre Lieder vorspielen, und ich berate sie gerne. Das ist nie mit Geld verbunden. Ich hatte so viel Glück im Leben, da muss ich auch was zurückgeben. (steht auf, sucht und findet einen Aschenbecher)
Rauchen ist also noch erlaubt?
Humpe: Ich schenke mir zum Geburtstag, dass ich aufhöre.
Rauchen Sie nur gelegentlich?
Humpe: Nein, alles, was ich tue, mache ich gründlich, nicht aus Gelegenheit. Aber es ist mein 87. Versuch, aufzuhören. Drum wollen wir mal abwarten.
Nehmen Sie sich öfter was vor und lächeln, wenn es nicht klappt?
Humpe: Das ist nur beim Rauchen so. Ich habe sonst ziemlich alles unter Kontrolle, ernähre mich gesund, mache seit 15 Jahren Yoga.
Stimmt, Sie haben ja sogar ein Yoga-Lied "Ich atme ein. Ich atme aus". In Zusammenhang mit diesem Lied erwähnten Sie mal, dass es nicht ironisch gemeint ist und Sie generell mit Ironie nichts am Hut haben.
Humpe: Es dauerte sogar sehr lange, bis ich Ironie verstanden habe. Ich möchte mir eine Reinheit bewahren, laufe mit ganz naivem Herzen durch die Welt und nehme Worte eins zu eins, wie ich sie höre. Jetzt, im Alter, mache ich langsam Fortschritte. Ich merke, dass Dinge ironisch gemeint sein könnten. Aber es ist und bleibt nicht meine Welt.
Dabei könnte man denken, dass Ironie ein Teil der Abgebrühtheit ist, die man als Künstler nach all den Jahren entwickelt ...
Humpe: Nein, mein Wesen ist ironiefrei. Das war keine Entscheidung, ich bin so. Das ist festgelegt - wie meine blauen Augen. In den Anfangsjahren stand ich manchen Leuten richtig fassungslos gegenüber, habe gefragt: Wieso sagst du das, das ist doch das Gegenteil dessen, was du meinst ... (verdreht die Augen). Ich mag keine Zyniker und will nicht immer von vorneherein was Schlechtes wittern.
Das klingt so, als wären Sie stets die gutgläubige Kleine gewesen: unverdorben, aber uncool?
Humpe: Ich habe keine Angst, uncool zu sein. Denn das Uncoole ist am nächsten Tag schon wieder cool, da bleibt ich doch lieber bei mir. Damit bin ich immer gut gefahren. Das ist meine Kraft, meine Quelle, auch wenn man dann phasenweise out ist. Wenn ich mich verbiege, klingt das schlapp, das wird nichts.
Tun Misserfolge dennoch weh?
Humpe: Ich finde, ich hatte kaum welche. Meine Trefferquote ist hoch. Vielleicht zähle ich mein Soloalbum dazu. Humpe und Humpe war als deutscher Act auf Platz 61 in den britischen Charts - und die lassen ungern deutsche Künstler in ihre Hitlisten.
Vom heutigen Standpunkt ausgesehen, kam Ihr Erfolg mit Ideal spät. Als Sie durch Songs wie "Berlin" oder "Blaue Augen" bekannt wurden, waren Sie 30.
Humpe: Es gab davor zusammengerechnet bestimmt neun Bands, in denen ich war. Danke dafür, denn mit 30 war ich gefestigt, kannte das Leben, hatte bis dahin als Briefträgerin und Kellnerin gearbeitet. Mit 19 hätte mir die Stabilität gefehlt, diesen Erfolg gelassen zu nehmen.
Können Sie jungen Leuten heute noch ernsthaft raten, Musiker zu werden?
Humpe: Wenn man sich nichts anderes wünscht ... Ich habe eben nebenbei gekellnert und Klavierunterricht gegeben. Ohne zu wissen, ob es funktionieren wird, war ich bereit zu jobben, um Musik zu machen. Wer mit zu hohen Erwartungen rangeht oder auf den schnellen Fernseherfolg reinfällt, wird es schwer haben. Das sind die Tücken der heutigen Zeit. Aber es bringt nichts, das Früher zu verklären.
Trauern Sie denn irgendetwas nach?
Humpe: Nein, ich bin ziemlich nostalgiefrei. Meist breche ich ja die Projekte ab, um etwas Neues anzugehen. Eine Band bedeutet Überfluss von einem Stil und einen Mangel von anderen. Nach einer Zeit im Überfluss stürze ich mich auf meinen Mangel. Dann wird der zum Überfluss ...
Also können Sie nirgends wirklich mal bleiben?
Humpe: Ich kann mir nicht vorstellen, 15 Alben in der gleichen Formation im gleichen Stil zu machen. Da werde ich sofort müde und habe schon keine Lust mehr.
Müssen Sie raus oder reicht die Freiheit, sich musikalisch innerhalb der Band zu verändern?
Humpe: Nein, ich brauche schon wirklich was Neues. Das erste Album mit einem neuen Künstler ist unschuldig. Man ist verspielt, experimentiert. Das ist so schön! Wenn man das siebte macht, weiß ich, die Gitarre passt nicht zu seiner Stimme, der Text wäre zu lustig, der zu ernst. Man wird immer weiter eingeengt. Das widerstrebt mir.
Dann ist Ihre aktuelle Band Ich + Ich nach sieben Jahren auch in der Endphase?
Humpe: Naja, gucken wir mal. Ich habe jetzt ein Album mit Max Raabe zusammen komponiert, das fast fertig ist. Ich mache also schon andere Projekte. Wenn ich lange geschwommen bin, muss ich mal auf den Berg. Das hat mit meinem Temperament zu tun. Mir fiele auch ein Konzept zu einem Album mit sechs Zitherspielern ein. Ich mache doch nicht nur Popmusik.
Sind Sie privat auch jemand, der nirgends verharren kann?
Humpe: Eine Zeit lang bin ich jedes Jahr umgezogen. Aber durch die Geburt meines Kindes reduzierte sich das etwas. Seither hatte ich nur drei Wohnungen. Die ersten zehn Jahre lebten wir in Hamburg, jetzt wieder in Berlin. Mittlerweile ist mein Sohn 18, und es ist nicht einfach, mit einem Pubertierenden zusammenzuleben. Da kracht es oft.
Sie sagen, Sie hätten eine autistische Seite ... was heißt das?
Humpe: Dass ich selbst mein Rückzugsgebiet bin. Ich bin gerne alleine, ohne Einsamkeit zu verspüren. Das konnte ich von klein auf. ~ Claudia Nitsche (teleschau)
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