"Frau Merkel macht nicht den schlechtesten Job"
Hosen-Frontmann Campino über Familie, Fußball und Frau Merkel
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"Frau Merkel macht nicht den schlechtesten Job"
Hosen-Frontmann Campino über Familie, Fußball und Frau Merkel
16.05.2009 62. Spielminute. Es steht 4:4. Sowas gibt es selten in einem Fußballstadion. Und für Düsseldorf geht es um alles, um den Aufstieg in Liga zwei. Campino, leidenschaftlicher Fan der Fortuna (wie auch von Liverpool), beginnt dieses Interview in diesem Moment und ist dementsprechend nervös. Aber: Echte Profis funktionieren auf den Punkt. Auch das hat er gelernt in dem Vierteljahrhundert, in dem die Toten Hosen nun auf dem Platz stehen. Interessante Auswärtsspiele haben sie hinter sich, zuletzt in Moskau und Argentinien. Und die "machmalauter"-Tour geht noch bis Ende des Jahres weiter. Ein Gespräch über einen Mann (46) und seine Familiengeschichte, über ein krisengeschütteltes Land und, natürlich, über Fußball.
Hast Du eigentlich noch Lust auf Interviews? Du hast einige gegeben.
Campino: Klar. Ich mag nur keine abgedroschenen Frage-und-Antwort-Rituale. In Talkshows zum Beispiel. Wenn nur Klischees abgerufen werden, ist das Zeitverschwendung.
Du betonst immer wieder, wie wichtig Dir auch mal die Einsamkeit ist, die Tage auf der Couch allein. Davon dürfte es zuletzt wenige gegeben haben.
Campino: Im Juli kommt eine größere Pause. Und die brauche ich auch. Das spüre ich körperlich. Aber ich will mich nicht beschweren. Es ist toll, dass wir nach all den Jahren immer noch in der Lage sind, Fans anzuziehen, die mit uns feiern.
Die Hosen haben zum ersten Mal in Moskau gespielt ...
Campino: Eine hochinteressante Erfahrung. Mir war zum Beispiel neu, dass die Deutschen in Russland mit Abstand die beliebtesten Ausländer sind. Die Menschen dort haben Respekt vor uns und erkennen an, dass wir das Bindeglied zu den anderen westlichen Ländern sind. Sie nehmen uns die Vermittlerrolle ab.
Dein Vater wurde im Krieg in Russland, in Stalingrad, verwundet.
Campino: Ein Streifschuss am Kopf.
War der Krieg in Eurer Familie ein Thema?
Campino: Es wurde nicht viel darüber geredet. Was ich auch verstehen kann: Mein Vater war vom ersten bis zum letzten Tag im Krieg, an jeder Front - Polen, Frankreich, Stalingrad. Am Ende geriet er in Gefangenschaft der Amerikaner. Wenn so einer nach Hause kommt, muss es ungeheuer schwierig gewesen sein, in den normalen Alltag zu den normalen Regeln zurückzukehren. Diese Erfahrung haben wir Kinder natürlich nicht verstanden. Ich sah nur, dass er bis zu seinem Tod bei Gewitter komisch drauf war.
Bedauerst Du es, dass es nicht zum Gespräch mit Deinem Vater vor seinem Tod kam? Womöglich wird er in einem 14-jährigen, rebellischen Punk auch nicht den idealen Ansprechpartner gesehen haben.
Campino: Gespräche gab es, aber wenn ich eines bereue, dann dass ich nicht öfter mal nachgefragt habe. Er sprach nicht von selbst darüber, doch er war von der Thematik bis zu seinem Lebensende geradezu besessen. Wenn ich mal mit ihm ins Kino ging, hieß der Film "Schlacht um Stalingrad" - oder jedenfalls so ähnlich. Wenn dann Landkarten eingeblendet wurden, murmelte er leise vor sich hin, dass alles falsch eingezeichnet sei. Ich stamme eben aus einem Elternhaus, das verschiedene Einflüsse hatte.
Deine Mutter war Engländerin.
Campino: Und mein englischer Großvater war ein Member of Parliament - ein Schuldirektor, der sich plötzlich in der Politik wiederfand. Meine Mutter war Studentin und kam direkt nach dem Krieg nach Deutschland. Hier lernte sie meinen Vater kennen. Eine extreme Situation zu dieser Zeit.
War Dein Vater Nazi?
Campino: Nein, gar nicht, er war auch nie Parteimitglied. Er wurde vielmehr Soldat, um all dem zu entgehen. Schon sein Vater hatte sich geweigert, als Richter Urteile gegen Juden zu unterzeichnen, ohne dass es einen Prozess gab. Er bekam Berufsverbot und entkam wohl nur deshalb dem KZ, weil sich andere für ihn stark gemacht haben. Wir sind eine integre Familie. Wobei ich nicht verschweigen will, dass mein Vater sehr wohl Patriot war. Und erzkonservativ.
CDU ...
Campino: ... bis in die Knochen, was natürlich für viel Sprengstoff zu Hause sorgte. Mein zwölf Jahre älterer Bruder war Links-Sympathisant. Und mich hat mein Vater, als ich acht war, mitgenommen, um CDU-Zettel in Briefkästen zu werfen.
Säßen wir heute hier, wenn Dein Vater ein Linker gewesen wäre?
Campino: Sicher. Ich wäre immer ein Punk geworden. Es ging mir nicht um Abgrenzung gegenüber meinen Eltern, mir ging es nur um die Musik. Leider musste meine Mutter als Engländerin die ganzen Parolen aus meinem Zimmer hören. Jahrelang gab's Ärger, sie hat sich sogar geweigert, mit mir zu frühstücken. Sie brachte mir den Teller ins Zimmer und ging schweigend wieder hinaus.
Zu den Klängen von "God Save The Queen".
Campino: So war es. Da ging bei ihr gar nichts mehr. Die waren sich beide einfach sicher, dass ich auf dem Holzweg war.
Gäbe es einen direkten Zusammenhang zwischen Erziehung, Rebellion und Musik, müsste Dein Sohn eines Tages Volksmusik hören.
Campino: Ach nein, den Zusammenhang gibt es nicht. Wir sollten sowieso nicht versuchen, der Freund oder der Kumpel unserer Kinder zu sein. Wir sind die Figuren, die sie fürs Leben schulen müssen. Und es ist wunderbar, wenn sich dann später die Wege immer wieder kreuzen und man mit sich im Reinen ist. Seit ich selbst Vater bin, weiß ich schon sehr genau, dass meine Eltern all ihre Kinder liebten. Sie waren eben nur irgendwie hilflos.
Und was hätte Dein Vater zu dem Auftritt in Moskau gesagt?
Campino: Ich würde mir wünschen, dass er heute ein entspanntes Verhältnis dazu hätte. Aber sein Lieblingsland wäre es wohl immer noch nicht. Aber ich bin froh, dass wir als neue Generation die Vergangenheit zwar nicht vergessen, aber dennoch einen Schlussstrich ziehen können. Es gab einen unendlichen Schaden für alle, aber die Zeit des gegenseitigen Aufrechnens ist vorbei. Wir vergessen nicht, aber es ist in unserer Generation keine Rechnung offen.
2009 wird als Jahr der Krise in die Geschichte eingehen. Inwieweit seid Ihr als Musiker betroffen?
Campino: Eine direkte Auswirkung auf uns als Band hat das zwar nicht, aber natürlich teile und verstehe ich die Sorgen vieler: Wie lange wird das alles anhalten? Welche Konzerne werden die Situation für unpopuläre Maßnahmen ausnutzen? Es werden eben auch diesmal wieder vor allem jene betroffen sein, die sowieso am unteren Ende der Leiter stehen.
Wer hat Schuld?
Campino: Geldgierige Großkonzerne und Unternehmen, die die Situation ausgenutzt haben, um an viel Geld zu kommen, in dem sie Luftblasen aufpusten. Und die sind nun geplatzt. Wichtig ist, dass die meisten verstehen, dass in diesem Fall vor allem nicht die Regierung in der Verantwortung steht. Es ist ein globales Problem.
Wie fällt Dein Urteil über die Regierung aus?
Campino: Ich denke, dass sie nicht den schlechtesten Job macht. Ich nehme Frau Merkel ab, dass sie alles versucht, dieses Schiff da irgendwie durchzulavieren. Dass sie dabei sehr oft den Kompromiss sucht und auf viele zu unentschlossen wirkt, sei ihr von meiner Seite aus verziehen.
Früher, vor Jahrzehnten, waren gesellschaftliche Entwicklungen wie diese auch immer Nährböden für musikalische Veränderungen, für Trends ...
Campino: Nun, in den Achtzigern zum Beispiel gab es das. Aber auch heute geht das noch: HipHop, Punk, die Texte der Liedermacher. Es wird in der Musik immer Menschen geben, die ganz direkt auf das reagieren, was im Land vorgeht.
Aber dass die Musik an der Spitze einer Bewegung steht, dass sie junges Publikum politisiert, das ist doch vorbei ...
Campino: Mag sein. Musik wird vor allem immer Begleit-Tamtam sein. Zu jeder Hochzeit, zu jeder Beerdigung, zu jedem Kriegsgeheul. Musik wird benutzt, weil sie Emotionen freisetzt. Zumindest insofern wird sie nie ihre Funktion verlieren. Nur werden wir so etwas wie in den 80er-Jahren heute sicher nicht mehr erleben.
Warum ist das so?
Campino: Zum einen, weil die Menschen zerstreuter sind. Sie hängen im Internet, spielen Computerspiele, schauen fern. Bis du die in einer großen Gruppe auf Kurs kriegst, würde es heute ewig dauern. Zum anderen geht inzwischen alles so schnell. Jede Nachricht rast in Sekunden um die Welt, und dann schon die nächste. Ein Sockel für eine echte Bewegung, die sich ja entwickeln muss, kann da gar nicht mehr entstehen.
Proteste auf den Straßen, wie früher, vielleicht auch angeführt von Intellektuellen, sind demnach auch Geschichte?
Campino: Da bin ich mir nicht sicher. Es ist für mich immer in fühlbarer Nähe, dass die Leute auf die Straße gehen. Dass es mal knallt. Wenn es heute ein konkretes Feindbild gäbe, ein Gesicht, das Verantwortung übernähme, würden die Menschen wohl anders reagieren. Aber noch mal: Ich bin froh, dass sie es nicht an der Regierung festmachen. Denn die Masse kann ja auch fürchterlich falsch liegen. Es gibt genügend Fälle in der Geschichte, bei denen es ein Albtraum war, dass die Masse auf der Straße war.
Zum Beispiel?
Campino: Reichskristallnacht. Rostock-Lichtenhagen 1992. Wenn die Masse die richtigen Parolen ruft, finde ich es wunderbar. Wenn also eine positive Botschaft vermittelt wird. Aber wenn es eine üble Kraft bekommt, wenn Lynchjustiz geschieht, dann ist es das Übelste. Nur am Rande: Ich weiß auch ehrlich gesagt nicht, wie die Leute, die in Kreuzberg wohnen, das finden, dass jedes Mal am 1. Mai die Wagen weggeparkt werden müssen.
Die Hosen als Band waren in all den Jahrzehnten immer wieder in Gefahr, sich von der einen oder der anderen Seite instrumentalisieren zu lassen. Zuletzt habt Ihr die Bitte von Opel um Solidaritätsbekundungen ausgeschlagen ...
Campino: Ja. Es wäre nicht richtig, sich für Großkonzerne in dieser Form zu engagieren. Lieber für Institutionen und Leute, die nun wirklich keine Lobby haben. Es kann nicht Sinn der Toten Hosen sein, dass wir für multinationale Autokonzerne herhalten. Das wäre eine falsche Romantik.
Die "Opel-Gang", die Fahrt nach Italien zur Weltmeisterschaft im Rekord ...
Campino: Was der Firma übrigens total peinlich war. Die war damals bemüht, einen Mittelklassewagen für die Familie zu installieren, und dann kamen diese asozialen Elemente aus Düsseldorf und fuhren Opel. Wenn sie gekonnt hätten, hätten sie uns damals sicher gestoppt.
Lass uns noch kurz über Fußball reden.
Campino: Aber gerne.
Da hast Du Dich solidarisch mit Jürgen Klinsmann erklärt. Seine Entlassung sei nur ein Bauernopfer gewesen ...
Campino: Er war der Sündenbock. Fünf Minuten nach der Heimniederlage gegen Schalke habe ich gewettet, dass Klinsmann am Montag nicht mehr Trainer des FC Bayern ist. Weil dieses Verhalten in der Vergangenheit schon öfter von den Bayern an den Tag gelegt wurde.
Das ist nicht wahr. Es gab einen ähnlichen Fall bei Rehhagel, mit Abstrichen bei Sören Lerby. Nichts Vergleichbares sonst, in all den Jahren ...
Campino: Aber ich weiß doch, warum das geschieht: Wenn die Mannschaft nicht Meister wird, ist Klinsmann schuld. Wenn sie Meister wird, wurde alles richtig gemacht. Im Übrigen kann ich auch nicht sehen, wo sich das Bayern-Spiel seither geändert hat.
Hast Du etwa wahrgenommen, dass sich das Spiel unter Klinsmann zum Positiven verändert hätte?
Campino: Schon klar, dass der Mann als Heilsbringer maßlos überverkauft wurde, aber das war ja auch nicht sein Problem. Der FC Bayern hängt meines Erachtens in einem luftleeren Raum. Sie sind einerseits ohne Frage die beste Mannschaft der Liga, gehören aber andererseits nicht zu den Top-Acht in Europa. Die eigenen Ansprüche sind aber so. Doch dafür ist das spielerische Potenzial nicht da. Und das hat mit Klinsmann nichts zu tun.
Es hat aber mit ihm zu tun, dass junge Spieler wie Jansen oder Kroos den Verein verlassen haben. Dass Bayern fast doppelt so viele Gegentore wie im Vorjahr hat, dass es sieben Niederlagen gab, dass man den schlechtesten Saisonstart seit 31 Jahren hatte.
Campino: Jaja. Aber überleg doch, was Ihr den anderen Fußballfans Gutes getan habt ...
Was soll das gewesen sein?
Campino: Das war alles in allem einfach extrem lustig. Die Buddha-Geschichte zum Beispiel ...
Willst Du, dass andere Fans über Deine Lieblingsmannschaft Liverpool lachen?
Campino: Nein.
Wie hat Dir eigentlich die "Bild"-Schlagzeile "Matthäus nach Düsseldorf" gefallen?
Campino: Das war, glaube ich, nur ein Albtraum.
(Anm: d. Red.: Das Auswärtsspiel der Fortuna endete 5:5 - "was für eine Schlacht!") ~ Kai-Oliver Derks (teleschau)
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62. Spielminute. Es steht 4:4. Sowas gibt es selten in einem Fußballstadion. Und für Düsseldorf geht es um alles, um den Aufstieg in Liga zwei. Campino, leidenschaftlicher Fan der Fortuna (wie auch von Liverpool), beginnt dieses Interview in diesem Moment und ist dementsprechend nervös. Aber: Echte Profis funktionieren auf den Punkt. Auch das hat er gelernt in dem Vierteljahrhundert, in dem die Toten Hosen nun auf dem Platz stehen. Interessante Auswärtsspiele haben sie hinter sich,... mehr »