David Byrne

Diktatoren in der Disko


David Byrne veröffentlicht "Here Lies Love"

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Diktatoren in der Disko

David Byrne veröffentlicht "Here Lies Love"

12.04.2010 Phil Collins hat es mit "Tarzan" vorgemacht. Man kann in den Siebzigern bei einer wichtigen Kultband gespielt haben und heute trotzdem ein Musical schreiben. Die neueste Arbeit des Musikers und Konzeptkünstlers David Byrne - Mitte der Siebziger gründete er die Talking Heads - verblüfft die Musikwelt nun allerdings nachhaltiger als es der gewiefte Geschäftsmann und Ex-Genesis-Trommler mit "Tarzan" zu tun verstand. "Here Lies Love", das Musical-Projekt des 58-jährigen Byrne über die philippinische Diktatoren-Gattin Imelda Marcos, dürfte durchaus doppelbödig ausfallen - wenn das Ganze denn eines Tages tatsächlich auf die Bühne kommt. Als Vorbote erscheint nun erst mal eine Doppel-CD, die der New Yorker Künstler mit Fatboy Slim sowie illustren Gastsängerinnen aufnahm: Tori Amos, Cyndi Lauper, Camille, Martha Wainwright oder Santigold singen für David Byrne vom Leben an der Macht und unter der Diskokugel. Tatsächlich war Imelda Marcos, heute 80 Jahre alt, in den Siebzigern ein großer Diskofan. Diese Leidenschaft teilte sie übrigens mit David Byrne.

Wenn man so will, haben Sie schon einmal an der musikalischen Umsetzung einer Geschichte gearbeitet: Vor mehr als 20 Jahren gewannen Sie einen Oscar für die Musik des Films "Der letzte Kaiser". Wo heben Sie den auf?

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David Byrne: Er steht in meinem Büro, eingepackt in eine Hülle. Außer den Leuten im Büro weiß eigentlich niemand, dass er da steht.

Warum haben Sie die Hülle nicht abgemacht? Um den Oscar zu tarnen, damit er nicht gestohlen wird?

Byrne: Nein. Ich habe nie darüber nachgedacht. Man bekommt den Oscar genau so - in einer Art Tasche aus Samt. Und ich dachte wahrscheinlich: Lass es einfach so (lacht).

Ist es erlaubt, ein Musical über die Ehefrau eines Diktators zu schreiben - eine Frau, die als eine der korruptesten Politikerinnen der Geschichte gilt?

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Byrne: Natürlich kann man das machen, warum nicht? Wenn man herausfinden will, was solche Menschen von sich denken, was sie antreibt, muss man sich mit ihnen beschäftigen. Es ist nicht dasselbe wie bei dem Mel Brooks-Film "Frühling für Hitler", aber ich versuche mich trotzdem in den Charakter von Imelda Marcos hineinzuversetzen - um einige der Dinge zu verstehen, die sie getan hat.

Sind die dunklen Charaktere ganz einfach die interessanteren?

Byrne: Ja, das ist immer so. Du hast deshalb auch ein Problem beim Erzählen - die Guten tun oft nichts, was sich zu berichten lohnt (lacht). Es sind tatsächlich die dunklen Charaktere oder die von dunklen Mächten getriebenen, die eine Handlung vorantreiben.

Aber warum Imelda Marcos? Es gibt viele andere böse Menschen an der Macht. Was hat Sie an dieser Frau am meisten interessiert?

Byrne: Das Stück könnte von anderen Menschen handeln, anderen mächtigen Menschen, die ihre Macht missbrauchen. In Imelda Marcos Fall gab es jedoch eine musikalische Dimension. Sie ging ins "Studio 54" und liebte Diskos. Sie hatte sogar eine Diskokugel in ihrem New Yorker Haus hängen, manchmal verwandelte sie eine ganze Etage in eine Disko. Das fand ich spannend - nicht nur, dass ich eine musikalische Ära erzählen konnte. Imelda Marcos trägt diese Musik sogar in ihr Leben hinein, ab und zu hat sie selbst gesungen. Und weil ich selbst ein Fan von Dance Music bin, nahm ich mir vor, eine Geschichte darüber zu erzählen. Das hat, so weit ich weiß, noch nie jemand probiert.

Wenn man ein Musical über eine Staatsfrau erzählt, die mit einem totalitären politischen System in Verbindung steht, muss man automatisch an die Geschichte von Eva Perón und das Musical "Evita" denken. Sie sind aber nicht der neue Andrew Lloyd Webber, oder?

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Byrne: Ich muss zugeben, dass ich es vermieden habe, mir Evita anzusehen - den Film und das Musical. Natürlich gibt es da Parallelen: Ein Mädchen, die aus dem einfachen Volk kommt und die Frau eines Diktators wird. Beide Frauen sind populär, glamourös - die Dinge laufen jedoch in die falsche Richtung. Ich nahm mir vor, an meinem Konzept zu arbeiten, ohne "Evita" zu kennen, und wenn mir die Leute gesagt hätten, es wäre exakt das Gleiche, hätte ich alles weggeworfen. Ich bewege mich aber allein schon mit der Musik auf einem ganz anderen Gebiet. Ich kenne zwar nur "Don't Cry For Me Argentina" - aber was ich mache, ist schon etwas völlig anderes ...

Sie verbinden Tanzmusik mit dem Erzählen einer Geschichte. Normalerweise sagt man, dass Tanzmusik sich genau damit schwer tut. Ist das nicht ein Problem für Ihr künstlerisches Projekt?

Byrne: Nein, ich sehe das anders. Ich glaube, dass man der Musik Emotionen entnehmen kann. Dass man auch ein bisschen von der Erzählung mitbekommt. Wichtig ist jedoch das Gefühl, das die Musik transportiert. Gefühle sind das, worauf sich Musik besonders gut versteht. Meine Songs erzählen weniger eine Geschichte als das, was meine Protagonisten in einem bestimmten Moment ihres Lebens fühlen. Ich hoffe, dass mein Stück irgendwann in einer Bühnenversion zu sehen sein wird - dort kann man die Geschichte zusätzlich in Bildern erzählen, man kann mit Schauspielern, Bühnenbild oder Videoeinspielungen arbeiten. Wenn ich als Zuschauer sehe, dass Ferdinand Marcos sich in eine Szene im Krankenhaus befindet, dann muss ich das nicht im Song erzählen. Aber - natürlich können wir auf den Text nicht verzichten.

Ihr Album verwendet vor allem Musik, die von der klassischen Disco-Ära inspiriert ist. Was hat Ihnen diese Zeit gegeben?

Byrne: Es gab damals sehr viel unterschiedliche Musik. Es gab Musik mit sehr viel Soul oder Seele, die O'Jays, The Three Degrees - deren Musik war äußerst symphonisch, eine sehr ausgearbeitete Form von Soul. Zum Tanzen, aber auch im hohen Maße arrangiert, kompliziert. Großartiges Songwriting! Auf der anderen Seite gab es auch viel Minimalistisches. Reduzierte Grooves wie zum Beispiel von Chic. Danach begann eine Zeit, in der alles elektronischer wurde. Gruppen aus Detroit und New York, damals entstand ein neuer Sound, es war eine sehr innovative Zeit. Entwicklungen, die in unterschiedliche Richtungen strebten, die du aber zur selben Zeit im selben Club hören konntest.

Haben Sie damals die bekannten Diskos in New York aufgesucht, hat Sie das fasziniert - in Clubs gehen, tanzen?

Byrne: Ich bin nie wirklich oft zum Tanzen in die New Yorker Clubs gegangen. Ich mochte die Musik, aber die Clubs besuchte ich nicht. Das war eine eigene Szene, eine dekadente Szene - es war einfach nicht meine Welt. Ich war mehr Teil der "Downtown"-Szene, die war auch dekadent - aber auf eine andere Art.

Das Album ist prädestiniert für eine Bühnenfassung. Gibt es schon konkrete Pläne für die Umsetzung?

Byrne: Ja, ich arbeite mit dem "Public Theatre" in New York und dem Direktor dort zusammen - wir haben aber erst vor einigen Monaten mit Gesprächen begonnen. Es könnte sein, dass es noch ein ganzes Jahr dauern wird, bis wir etwas fertig haben. Aber dies ist nun der dritte Versuch, das Projekt in ein Theater zu bekommen, und vielleicht sind ja aller guten Dinge drei.

Sie haben dieses Album mit Norman Cook alias Fatboy Slim aufgenommen. Warum suchten Sie ausgerechnet ihn aus?

Byrne: Ich habe Norman Cook, Fatboy Slim, angesprochen, weil ich wie viele andere Menschen seine Musik kenne und mir dabei immer dachte, dass er ein sehr vielseitiger Künstler ist. Er macht nicht nur Techno, Trance oder House. Er beherrscht alle möglichen Stile, und er hat in einer Band gespielt, The Housemartins, deshalb dachte ich, dass er ein Verständnis für Songs mitbringt. Sie wissen, was ich meine: Strophe, Refrain und so weiter - diese Art Struktur, das ist kein Neuland für ihn. Für manche DJs mag das immer noch ein ungewöhnlicher Ansatz sein. Außerdem sind seine Sachen sehr humorvoll, auch darauf habe ich mich gefreut. Ich sprach Fatboy Slim an, als ich noch keine Songs fertig hatte, nur die Idee und eine Story. Wir tauschten per E-Mail Ideen und Material aus. Er gab mir einige Beats, ich schrieb ein paar Texte, setzte eine Melodie drauf. Umgekehrt schrieb ich Songs und bat ihn, dafür Beats zu finden. Das ganze Projekt wurde schnell sehr viel größer als wir uns das zu Beginn vorgestellt hatten - aber das war okay ...

Wenn man sich Ihre Karriere anschaut, fällt auf, dass sie sich immer wieder neuen Genres, Kunstformen und Stilen zuwenden. Gibt es eine Erklärung dafür, warum Sie mit jedem Projekt scheinbar einen neuen Ansatz in der Kunst verfolgen?

Byrne: Warum sollte ich es anders machen? Die Alternative ist langweilig (lacht). Ich mache es, weil ich dazu in der Lage bin - das scheint mir die einfache Antwort zu sein. Ich wäre selbst gelangweilt, würde ich immer das Gleiche machen. Dich selbst zu überraschen - das ist es, was dich lebendig hält. Man muss sich immer wieder in Situationen begeben, die ein bisschen unkomfortabel sind. Situationen, in denen man nicht weiß, was zu tun ist. Dann gilt es, sich in diesen Situationen zu behaupten. Wie auch immer - für mich ist es das Richtige.

Haben Sie noch musikalische Träume? Ein Projekt, das Sie gerne ausführen würden, wozu bisher die Gelegenheit fehlte?

Byrne: Nein, da gibt es nichts. Bisher gibt es nichts. Man kann schon sagen, dass ich derzeit noch sehr mit dem Imelda-Marcos-Projekt beschäftigt bin. Ich könnte mir vorstellen, falls es etwas wird mit der Theaterversion, dass ich dann einige neue Songs dafür schreiben müsste. Songs, welche die Story besser vorantreiben. Es gibt gute Songs auf dem Album, die aber für die Geschichte nicht so viel bringen. Da muss ich vielleicht noch einmal ran. Darüber hinaus arbeite ich an einigen neuen Songs. Ich kooperierte mit einer Sängerin namens St. Vincent - wie gesagt, bisher sind das nur ein paar Songs. Mal sehen, was noch daraus wird. ~ Eric Leimann (teleschau)


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