"Wir werden wohl langsam erwachsen"
Depeche-Mode-Songwriter Martin Gore über die neue Bandharmonie
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"Wir werden wohl langsam erwachsen"
Depeche-Mode-Songwriter Martin Gore über die neue Bandharmonie
17.04.2009 Es sind nicht nur weltweit über 100 Millionen verkaufte Alben und eine über 25-jährige Karriere mit grandiosen Konzerten, tollen Triumphen aber auch schlimmen Krisen, die Depeche Mode zu einem der letzten großen Pop-Acts machen. Es sind vor allem Konstanz und Innovation, die das Trio auszeichnen. Die Briten wissen sich eben immer wieder neu zu inszenieren. Mit "Sounds Of The Universe" demonstrieren Depeche Mode erneut die Lust an Weiterentwicklung und Experimenten. Aber auch eine ungewohnte Harmonie innerhalb der Band, wie Martin Gore im Interview berichtet.
Martin, spürst Du nach all den Jahren immer noch so etwas wie Vorfreude, wenn Ihr ein neues Album am Start habt?
Martin Gore: Klar, dieses Kribbeln ist immer noch da. Jeder von uns hat den Anspruch ein tolles neues Album hinzubekommen, auch wenn wir jedesmal anfangs überhaupt keinen Plan haben, was am Ende dabei herauskommen wird.
Wer im Vorfeld dieses Albums Eure Podcasts aus dem Studio im Internet verfolgte, erhielt den Eindruck, Ihr hättet dieses Mal eine Menge Spaß gehabt ...
Gore: Stimmt. Das war ja nicht bei jedem Album so. Nicht jedes Album verlief angenehm. Wir haben gelitten, gekämpft und gestritten. Aber diese Zeiten haben wir zum Glück hinter uns.
Soll das heißen, dass die kreativen Kompetenzkonflikte zwischen Dir und Sänger Dave Gahan ausgeräumt sind?
Gore: Ich denke das Thema wurde über alle Maßen von der Presse aufgeblasen. Es gab nur eine einzige Situation in der Geschichte von Depeche Mode, in der Dave mit der vagen Idee eines Songs zu mir kam und die ich abgelehnt hatte, weil sie einfach Mist war. Das war während der Aufnahmen zu "Ultra". Und das war, gelinde gesprochen, eine sehr, sehr vage Idee. Er hatte nicht mal Musik, er hat lediglich eine Melodie gesungen. Es war bei Weitem nicht so, wie in der Presse zu lesen war, dass ich Dave permanent unterdrücken, runtermachen und seine Kreativität in Zweifel ziehen würde. Ich denke, er hat verstanden, dass er schon von Anfang an hätte Songs schreiben müssen. Und die Tatsache, dass Dave keine eigenen Songs geschrieben hat, endete irgendwann damit, dass er unglücklich und unzufrieden war. Ich kann ihn sehr gut verstehen.
Ihr habt erstmals einen Song gemeinsam geschrieben und teilt Euch bei vielen Songs den Gesang. So viel Harmonie gab es zwischen Euch ja noch nie ...
Gore: Stimmt. Aber dieses Album braucht auch mehr Harmoniegesang, als die letzten Alben. Die letzte Scheibe hatte das kaum. Die Zusammenarbeit sah allerdings nicht so aus, dass Dave und ich gemeinsam in einem Zimmer saßen und beschlossen, einen Song zu schreiben. Ich hatte da dieses elektronische Instrumental und Dave mochte die Idee so sehr, dass er noch am gleichen Abend in seinem Hotelzimmer einen Text dazu schrieb. Das haben wir dann geprobt.
Die neuen Songs klingen sehr cineastisch, fast wie ein Soundtrack. Was für ein Film könnte dazu passen?
Gore: Mal überlegen, Songs wie "Little Soul", "Jezebel" oder "Space Walk" erinnern mich an Science-Fiction. Der Film könnte also so etwas wie ein "Space-Age-Retro-Futuristic-Pop-Movie" aus den 60er-Jahren sein.
Wie vertont man so etwas?
Gore: Ich habe zum ersten Mal meine Ideen, Beats und Sounds am Laptop bearbeitet. Obwohl wir später in der realen Welt eine Menge analoge Synthies, alte Gitarren und Mikrofone benutzt haben, geschah die Geburt dieses Albums in der virtuellen Welt.
Okay, aber die reale Umsetzung im Studio - wie war die?
Gore: Da habe ich mich zuerst um die Instrumentierung gekümmert, habe tonnenweise alte Synthesizer und Drum-Maschinen gekauft, Effektgeräte und alte Gitarren. Das hat dem Album sein Profil gegeben. Jeden Tag trafen neue Pakete im Studio ein, Zeug, das ich im Internet gekauft oder ersteigert hatte. Es war echt aufregend, was der Postbote wohl an neuen Spielzeugpaketen ins Studio schleppte.
Welchen Aufgabe hatte Produzent Ben Hillier bei Eurer Betreuung im Spielzeugland?
Gore: Wir hatten nur vage Skizzen, und am Ende war er es, der daraus ein Bild machte. Er kennt unsere Stärken und unsere Schwächen ziemlich gut. Wir wiederum wissen langsam, wie er arbeitet. Der gesamte Prozess war sehr schmerzfrei und angenehm. Und das blieb sogar so bis zum letzten Tag! (lacht)
Interessant ist, dass man am Ende nicht ausmachen kann, wer welchen Song geschrieben hat. Ist das ein Qualitätsmerkmal, das am Ende sowieso alles immer nach Depeche Mode klingt?
Gore: Alle Stücke durchlaufen einen langen Prozess. Sie werden sozusagen durch die Depeche-Mode-Maschine gedreht. Sie werden in verschiedene Richtungen gedreht, gestaucht und verzerrt, dann wieder ausprobiert und getestet - meine Songs, Daves Songs, alle Songs. Sie bekommen Gitarren verpasst, Gesang und Backings, werden mit Effekten verfremdet, gemixt und geremixt. Und am Ende klingt jeder von ihnen nach Depeche Mode!
Aber ernsthaft: Kann man sich nach 25 Jahren überhaupt noch neu erfinden? Oder gilt es, sein kleines Kunststückchen immer wieder hübsch neu und verlockend zu verpacken?
Gore: Wir fordern uns immer wieder aufs Neue heraus, treiben uns gegenseitig vorwärts. Wir versuchen, eine neue Idee so weit wie möglich aus ihrer normalen Umgebung zu rücken, wie wir nur können. Und doch klingt das fertige Resultat am Ende doch immer nach uns ... (seufzt gespielt und lacht)
Euer Vorgänger "Playing The Angel" war ziemlich düster, melancholisch, fast klaustrophobisch. Im Vergleich wirkt das neue Album ja fast heiter.
Gore: Das sehe ich auch so. Ich weiß nicht, ob das einfach so kam oder ob man das als Spiegel unserer Seelen betrachten sollte. Wir sind inzwischen reifer und gefestigter als früher. Jedesmal, wenn wir an einem neuen Album arbeiten, wird das definitiv ein bisschen reflektierender und spiritueller. Wir werden wohl langsam erwachsen. ~ Stefan Woldach (teleschau)
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