Alles Quatsch mit Soße
Element Of Crime über Straßenbahnen, Kinderchöre und erfundene Blogs
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Alles Quatsch mit Soße
Element Of Crime über Straßenbahnen, Kinderchöre und erfundene Blogs
25.09.2009 "Interviews in Hotelzimmern haben immer so etwas pornomäßiges", erklärt Sven Regener, und Richard Pappik nickt zustimmend. In all den Jahren, die der Sänger und der Drummer von Element Of Crime nun schon Interviews geben, machten sie Biergärten als die ideale Umgebung für Gespräche über ihr neues Album "Immer da wo du bist bin ich nie" aus. Zwar mögen Biergärten nicht typisch für ihre Heimat Berlin sein - auch wenn Sven Regener der Hauptstadt eine blühende Biergartenkultur attestiert -, doch die Wahl des Treffpunktes unterstreicht ein paar Kernqualitäten der Band: Bodenständigkeit und die Freude daran, Alltägliches zu betrachten.
Sind Biergärten Eure bevorzugte Inspirationsquelle?
Richard Pappik: Jede Kneipe der Welt ist eine gute Inspirationsquelle.
Sven Regener: Saufen gehen war immer Teil meines Lebens. Ich schob nie die Entschuldigung vor, dass ich einen Trinken gehen muss, um inspiriert zu werden: "Ich geh jetzt mal aus beruflichen Gründen in die Kneipe." Kunst handelt immer vom Einzelnen, vom Individuum und was in ihm passiert. Sie lauert überall, wo sich Leute begegnen und aufeinander clashen.
Das ist dann wohl die Erklärung für Eure ungebrochene Faszination für Straßenbahnen?
Regener (lacht): Ja, die kommen in unseren Songs oft vor. Immerhin sind sie ein wichtiger, verlässlicher Teil des urbanen Lebens.
Verlässlich? Die U-Bahn heute morgen fiel wegen Wagendefekts aus ...
Regener: Daran sieht man, in wie weit der öffentliche Nahverkehr in unser Leben eingreift. Die ganzen Erlebnisse, die uns ohne ihn entgehen würden. Wir wären der Entschuldigung "Ich bin zu spät, die U-Bahn fuhr nicht" beraubt. Oder: "Ich konnte nicht mehr kommen, die Straßenbahn war umgestürzt." Zudem sind Straßenbahnen oft die einzigen Hinweise darauf, dass unsere Songs meist in großen Städten spielen.
Apropos: "Straßenbahn des Todes" und "Delmenhorst" von Eurem letzten Album "Mittelpunkt der Welt" waren nach über 20 Jahren die ersten Lieder, die Ihr in den Singlecharts platzieren konntet. Beeindruckt das nach so langer Zeit noch?
Regener: Es war lustig, denn das passierte uns noch nie. Aber wir hatten auch noch nie eine Goldene Schallplatte, was "Mittelpunkt der Welt" letztendlich wurde. Dabei lagen die Verkaufszahlen nicht wesentlich über den der vorherigen Alben.
Im Jahr 2003 wurde die Verkaufszahlengrenze für Goldene Schallplatten runtergesetzt.
Regener: Ja, auf 100.000 verkaufte LPs.
Und Ihr gehört zu denen, die davon profitierten.
Regener: Natürlich. Wir verkauften zwar tatsächlich ein paar Einheiten mehr als sonst, doch wäre die Regelung schon 1993 in Kraft getreten, hätten wir für "Weißes Papier" auch schon Gold bekommen. Allerdings dauerte es damals neun Jahre, bis die Platte die 100.000 überschritt - bei "Mittelpunkt der Welt" lediglich zwei. Aber wir können uns wirklich nicht beklagen und haben es nie getan.
Pappik: Wir sahen uns immer als privilegierte Band.
Inwiefern?
Regener: Weil wir einerseits immer genug Erfolg hatten, dass uns niemand irgendwas konnte, sich diese Erfolgsserie aber nicht darauf gründete, dass wir irgendein Lied in den Singlecharts haben müssen. Denn das ist nämlich der größte Fluch: Dieser eine blöde Hit, den man gar nicht mal so gut findet. Den alle immer hören wollen und alle mit der Band verbinden, und gegen den man sein Leben lang anschreibt und nicht mehr weiterkommt.
Pappik: Entweder man hat viele davon, oder gar keinen.
Regener: Für uns besteht jetzt jedoch nicht ernsthaft das Problem, dass wir "Delmenhorst" noch mal schreiben müssten. Jetzt "Oldenburg", oder so (lacht).
Ihr verspürtet also keinen Druck, als Ihr an "Immer da wo du bist bin ich nie" arbeitetet?
Regener: Unser Leben veränderte sich dadurch nicht. Wir wurden nicht plötzlich zum Allgemeingut.
Pappik: Es war ja kein plötzlicher Erfolg, sondern jedes Jahr war ein kleiner Sprung nach oben. Wie bei einer Treppe. Vielen passiert es, dass sie fünf Stufen auf einmal nehmen und dann rückwärts wieder runterfallen. Wir sind die Treppe langsam hochgegangen, Stufe für Stufe. Und die waren nie so hoch, dass jemand seine Erwartungen für den nächsten Schritt überziehen oder gar, Angst davor bekommen könnte.
Regener: Ach, wir sind eine tolle Band, die können uns alle mal am Arsch lecken. Auch die Plattenfirmen. Wobei ich die eigentlich ganz gern mag. Wir werden sie mal sehr vermissen.
Du glaubst, dass das Plattenfirmensterben weitergehen wird?
Regener: Ja, und das wird ganz grausam. Wenn man den Vogel nicht füttert, singt er nicht mehr. Wenn keiner mehr für Musik zahlen will, ist irgendwann kein Geld mehr für Produktionen übrig. Musik für Jugendliche gibt es bald nicht mehr, weil sie nur noch illegal runtergeladen wird. Geht das so weiter, müssen wir bald alle Phil Collins hören. Dumm gelaufen.
Umsatzprobleme nötigen Plattenfirmen gelegentlich, ihren Künstlern in die Arbeit hineinzureden ...
Regener: Wir selbst sehen Plattenfirmen nicht als unsere Bosse, sondern als Geschäftspartner.
Es gab also keinerlei Diskussionen, als Ihr den Kinderchor auf "Der weiße Hai" haben wolltet?
Regener: Solang wir Erfolg haben, kann uns keiner was. Ich kenne die beiden Mädchen und mochte ihre schönen hellen Stimmen. Zudem sind Kinder emotional besetzt, das ergibt sofort ein sehr starkes Bild. Und außerdem war ich schon immer neidisch auf Kettcar, seit sie einen Kinderchor in "Stockhausen, Bill Gates & Ich" einbauten.
Zwischen dem aktuellen und dem vorherigen Album ließ Euch Leander Hausmann den Soundtrack zu seinem Film "Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe" fast im Alleingang bestreiten, Ihr wurdet dafür für den Deutschen Filmpreis nominiert. Habt Ihr vor, Euch nun öfter der Filmmusik zu widmen?
Regener: Jakob Ilja, unser Gitarrist schreibt sehr viel Filmmusik. Richard und ich machen das auch, wenn man uns fragt, das ist kein Problem. Aber dass die ganze Band einen Soundtrack einspielt, ist schon ein sehr spezieller Fall. Denn das geht nur, wenn man wirklich Songs für den Film schreibt. In unserem Fall vier, wenn man von den Instrumentalstücken absieht. Vier Lieder auf einen Film, das ist verdammt viel. Aber die meisten Regisseure haben nicht den Mut, einen ganzen Film mit der Musik einer Band zu machen.
Leander Haußmann ist die Ausnahme?
Regener: Richtig. Er ist einer der wenigen, die kapiert haben, dass man einem Film so eine andere Färbung geben kann. Normalerweise wird sich Filmmusik wie im Supermarkt zusammengesucht und eingekauft. Ich persönlich würde mir wünschen, dass wieder mehr Songs für Filme geschrieben werden. "Alice's Restaurant" fällt in diese Kategorie, oder "Die Reifeprüfung".
Nur wurde der betriebene Aufwand an den Kinokassen nicht entsprechend gewürdig.
Regener: Nein, "Robert Zimmermann" war leider nicht wahnsinnig erfolgreich. Das heißt, es wird wohl wieder sehr lang dauern, bis jemand mal wieder so einen Film macht. Aber für uns hatte es auch ein Gutes: Wäre es ein Riesenerfolg gewesen, hätten wir uns vor Anfragen nicht retten können. Die hätten wir alle absagen müssen, denn so ein Projekt geht halt nicht immer - aber bei Leander schon.
Er war es auch, der Deinen Roman "Herr Lehmann" verfilmte. Man liest, Du würdest gerade dessen Fortsetzung "Der kleine Bruder" in Drehbuchform bringen?
Regener: Ja, ich bin schon bei der dritten Version.
In unzuverlässigen Quellen war einmal zu lesen, Du hieltest die letzten beiden Bücher der "Lehmann"-Trilogie für unverfilmbar.
Regener: Ich sagte, "Neue Vahr Süd" sei nicht verfilmbar, jedenfalls nicht jenseits des Monumentalfilms. Ich habe die Fernsehverfilmungsrechte dafür verkauft, doch die Verfilmung wird wohl eher "nach Motiven von".
Du scheinst darüber nicht besonders glücklich zu sein.
Regener: Wenn schon kein Kinofilm, dann hätte mir ein Fernseh-Vierteiler gefallen. Aber es soll ein 90-Minuten-Film werden, und das kann natürlich nicht "Neue Vahr Süd" sein. In 90 Minuten bekommt man nur einen ganz kleinen Teil der Geschichte unter. Theoretisch müsste es "Herr der Ringe"-mäßig verfilmt werden - also sehr nah am Buch.
Ist es nicht schwierig, seine Hauptfigur loszulassen?
Regener: Jeder, der das Buch liest, bildet sich eine Meinung zu Frank Lehmann, schätzt ihn ein, stellt ihn sich vor. Und das vielleicht ganz anders, als ich es tue. Ich beispielsweise sah ihn überhaupt nicht wie Christian Ulmen, der ihn in "Herr Lehmann" verkörperte. Leander aber schon. Und Christian Ulmen war auch völlig in Ordnung, nur ich musste mich erst daran gewöhnen. In dem Moment, in dem ich ein Buch veröffentliche, muss ich damit leben, dass andere Leute meine Erfindung für sich verändern.
Doch Du verfasst ja nicht nur Romane, sondern immer mal wieder Blogs - auch, während Ihr in Nashville Eurem Album den letzten Schliff gabt.
Regener: Ja, aber die schreiben sich von selbst, weil ich das meiste frei erfinde. Mein Vorbild ist Hans Carl Artmann, der das Tagebuch "Das Suchen nach dem gestrigen Tag oder Schnee auf einem heißen Brotwecken" frei erfand. Es macht mir einfach Spaß, alberne Fotos zu schießen und irgendwelches Zeug darunterzuschreiben. Richard zum italienischen Restaurantkettenbesitzer zu erklären, oder so.
Pappik: (lacht) Am Flughafen fotografierte mich Sven vor einer Pizzeria und schrieb irgendwas wie: "Alles, was sie können, haben sie von ihm gelernt" darunter. Ich bekam das erst nach drei oder vier Tagen mit. Ich dachte, was macht der mit mir? Ist der wahnsinnig? Aber letztendlich war es einfach witzig.
Regener: Man soll sich ja auch einmal über Marketing lustig machen dürfen. Es ist vollkommen sinnlos, Leute mit einem Blog von Musik überzeugen zu wollen. Entweder jemand mag sie oder nicht. Wer sie mag, interessiert sich möglicherweise für den Blog, aber nicht umgekehrt. Darum kann man sich da auch mal ein wenig locker machen und Quatsch mit Soße in einen Blog schreiben.
Element Of Crime auf Deutschland-Tournee
25.01., München, Tonhalle
26.01., Stuttgart, Theaterhaus
27.01., Erlangen, Heinrich-Lades-Halle
28.01., Leipzig, Haus Auensee
29.01., Dresden, Alter Schlachthof
30.01., Offenbach, Capitol
01.02., Köln, Palladium
02.02., Bielefeld, Ringlokschuppen
03.02., Bochum, Jahrhunderthalle
04.02., Hannover, Capitol
05.02., Hamburg, Alsterdorfer Sporthalle
06.02., Bremen, Pier 2
07.02., Berlin, Arena ~ Annekatrin Liebisch (teleschau)
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