Nein, natürlich will sie keine häusliche Gewalt verherrlichen, selbst wenn Florence Welch in ihrer ersten Single "Kiss With A Fist" fröhlich "You hit me once, I hit you back / You gave a kick, I gave a slap" trällert. Genauso wenig, wie der locker-flockige Gitarren-Pop-Song das heißersehnte Debütalbum "Lungs" von Florence And The Machine repräsentieren kann, lassen die verrückten Texte auf die tatsächliche Meinung der Künstlerin schließen. Was irgendwie beruhigt. Denn mit ihren 23 Jahren verfügt die Britin über eine unglaublich blühende Fantasie, die sich irgendwo zwischen experimentierfreudigem Genie und charmantem Wahnsinn einordnen lässt. ~ Annekatrin Liebisch (teleschau) aufklappen »
Bedrohlich vibrieren die Saiten der E-Gitarre, während Florence Welch mit kehliger Stimme über eine Rivalin singt, deren Auge sie mit einem Messer herausschnitt. Hätte Lily Allen "Girl With One Eye" geschrieben, müsste man wohl die Polizei rufen. Oder einen Psychiater. Oder beide. Doch Florence Welch ist nicht Lily Allen und ebenso wenig Kate Nash, wenn sie auch mit beiden den entzückenden Londoner Akzent und mit Letzterer Produzenten Paul Epworth teilt.
Der Rotschopf lebt in seiner eigenen Welt, in der rauer Indie-Pop und 60er-Jahre-Folk friedlich koexistieren, Songtexte am liebsten unter Alkoholeinfluss geschrieben werden, Choräle zum guten Ton gehören und Harfenisten eine Festanstellung haben. Die Liebe mag auch in diesem seltsamen Universum Dreh- und Angelpunkt sein, nur betrachtet Florence Welch sie aus ungewohnten Perspektiven: Während sie in "Howl" förmlich zum Tier wird, kommt die skurrile Ballade "My Boy Builds Coffins" regelrecht emotionslos daher.
Mit einem bemerkenswerten Gefühl für Dramatik flirtet die Sängerin mit dem Tod ("Blinding"), verpackt ihre Ängste in kraftvolle Songs ("Rabbit Heart") und wirkt selbstbewusst und zerbrechlich zugleich ("Hurricane Drunk"). Doch trotz aller düsteren Ecken und unheimlichen Gestalten folgt man Florence gern in diese Welt. Denn dort irgendwo muss der Quell für die schwer festzuhaltende Energie verborgen sein, die sie unaufhörlich verströmt.