Immer auf Empfang
Jackie Leven meistert rastlos die großen und kleinen Katastrophen des Lebens
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Immer auf Empfang
Jackie Leven meistert rastlos die großen und kleinen Katastrophen des Lebens
15.08.2008 Die Biografie des schottischen Songwriters liest sich wie ein Horrorroman, sein Leben gilt als katastrophenerprobt. Nur die innere Ruhe hat den begnadeten Sänger und Poeten nicht den Rock'n'Roll-Drogentod sterben lassen - die Musikwelt wäre um eine Legende ärmer. Heute schreibt Jackie Leven, geboren 1950, mit feinsinniger Lyrik und ergreifender Intensität leise Lieder über Liebe und Glauben, Respekt und Einsamkeit, antiquierte Dorfkneipen und transsexuelle Profikiller.
Erstaunlich, wie man so friedvolle Musik machen kann, wenn ein Leben so voller Katastrophen verlaufen ist ...
Jackie Leven: Tja, einmal wurde ich fast ermordet. Während ich mit dem Leben rang, verließ mich meine Freundin. Als Folge des Anschlags verlor ich meine Stimme, konnte nicht mehr singen. Ich durchlebte die schlimmste Zeit meines Lebens, und rutschte in eine Phase der Heroinabhängigkeit - die klassische Droge der Verzweiflung. Der einzige Weg, wieder zu mir zu finden, war nach Schottland zurückzukehren. Nach all dem ist es heute für mich wichtig, mit meiner Musik ein Dankeschön an das Leben zu sagen.
Dein letztes Album hast Du auf einem alten Weingut in Napa, Kalifornien, aufgenommen, in "delikaten Aufnahmesessions mit hohem kulinarischen Wert". Und dieses Mal?
Jackie Leven: Dieses Mal war ich in den Bryn Derwen Studios in Wales. Ich liebe die Menschen dort, weil sie so geradeaus sind. Es gibt im Ort eine total schräge Bar, im Douglas Hotel. Immer, wenn wir mit den Aufnahmen fertig waren, haben wir uns dort ein paar Drinks genehmigt. Die Besitzer sind etwas seltsam: Du kannst dort noch mit altem englischen Geld bezahlen, also mit Pence und Shilling. Wirklich abgefahren.
Wie findest Du eigentlich immer diese schrägen Orte, an denen Du arbeitest?
Jackie Leven: Nun, die Studiobesitzer, mit denen ich arbeitete, sprechen mich immer darauf an, sie hätten da von einer Bar gehört, die mir gefallen könnte. Ich mag exzentrische Menschen, obsessive Orte und außergewöhnliche Drinks.
Apropos: Was macht eigentlich Deine eigene Whiskey-Destillerie "Leven's Lament"?
Jackie Leven: Ich habe vor ein paar Jahren mit dem Whiskey-Trinken aufgehört. Whiskey tut mir nicht gut. Ich mache die verrücktesten Sachen. Trinke jetzt halt was anderes. Ich habe also eine Menge Whiskey, aber ich verkaufe so gut wie nichts mehr. Ich verschenke ihn inzwischen, wenn Freunde kommen und mich darauf ansprechen. Ich bin da sehr großzügig. Aber ich rühre Whiskey nicht mehr an.
Obwohl es heißt, dass Du inzwischen Absinth favorisierst und mit deinem Musikerkollegen Johnny Dowd einen kultivierten Trinkzirkel gegründet hast.
Jackie Leven: Johnny, der um einiges jünger ist als ich, hat eine sehr intensive Beziehung zum Absinth entwickelt. Er trinkt selbst gebrauten Absinth aus Tschechien, und der ist verdammt stark. Er hat mich immer gefragt, ob ich mit einen heben wolle, bevor wir auf die Bühne gehen, "um die Perspektive zu ändern". Aber das ist nicht gut. Danach gerne. Aber nicht vor einem Gig. Und mit seinem Konsum kann ich sowieso nicht mithalten.
Männerzirkel und Literatur-Clubs, schottische Mythen, Trinklieder, Rock'n'Roll-Albträume - keines Deiner Alben ist ohne Konzept. Welcher Gedanke steckt hinter "Lovers At The Gun Club"?
Jackie Leven: Nun, ich war vor Jahren eng - aber nicht sexuell - mit einem irisch-kanadischen transsexuellen Profkiller befreundet. Sein Name war Shannon Doyle. Er war ein sehr interessanter, intelligenter Typ und, unsere Wege haben sich ein paar Mal gekreuzt - wenn er nicht beruflich unterwegs war! Er war Mitglied eines sehr undurchsichtigen Waffen-Clubs in Louisiana, und er hat mir einige wirklich haarsträubende Geschichten erzählt, über Gewalt, sexuellen Missbrauch, Betrug, Verrat und wie sich immer wieder Mitglieder dieses Clubs gegenseitig in Kämpfen erschossen haben. Der Song dreht sich um den Wahnsinn solcher amerikanischen Waffenclubs. Und darum, dass wir alle ein gewisses Potenzial an Gewalt in uns tragen - auch wenn wir keine Menschen umbringen.
Ist Doyle noch am Leben?
Jackie Leven: Nein, er ist in England gestorben. Sein letzter Wille war ein Freilandbegräbnis in einem Wald, was in England erlaubt ist. Ich habe mich sogar um das Begräbnis gekümmert. Und so wurde ich gefragt, ob ich derjenige sein wollte, der sein Grab aushebt. Ich sagte zu und musste verdammte zwei Meter tief buddeln! Es hat einen ganzen Tag gedauert und war eine sehr intensive Erfahrung.
Worum geht es in "Passed Away From Human Love"? Klingt, als hättest Du deinen Glauben an die Liebe verloren?
Jackie Leven: Ich denke, in uns allen stirbt irgendwann mal der Glaube an die Liebe. Bei mir war es so, nachdem meine Eltern gestorben waren. Ich war völlig am Ende und hatte einfach nicht mehr das Bedürfnis, mit meiner damaligen Freundin und heutigen Frau Deborah zu schlafen. Damals meinte sie: "Was zum Teufel ist los mit dir? Schlaf mit mir!" Aber ich konnte es nicht. Also sie: "Wenn Du glaubst, das ich den Rest meines Lebens mit dir ohne Sex verbringe, kannst du es vergessen. Du läufst Gefahr, dass die Liebe in dir stirbt!" Diese Zeile fand ich so prägend, dass sie mir nie mehr aus dem Kopf ging. Aber erst jetzt habe ich es geschafft, das in einen Song zu verpacken.
Das andere Probleme hast Du aber früher in den Griff gekriegt?
Jackie Leven: (grinst). Ja. Ich mache meine Frau glücklich.
Abgesehen vom Sex: Wenn die Liebe stirbt, was bleibt dann noch?
Jackie Leven: Nicht viel. Und ich finde unsere Städte sind voller Menschen, denen die Liebe verloren gegangen ist. Du siehst sie überall. Es steht in ihren Gesichtern. Sie sind mies gelaunt, frustriert, wütend, völlig leer. Wenn du an einem solchen Menschen auf der Straße vorbei gehst, spürst du förmlich, dass in ihrem Leben Leere herrscht. Sie arbeiten, kommen nach Hause, sehen fern, gehen ins Bett - und am nächsten Morgen geht das so weiter. Diese Menschen haben den Kontakt zur lebendigen, freudigen Welt verloren. Diese Traurigkeit zu sehen, motiviert mich, all das zu pflegen, was das Leben lebenswert macht.
Dabei schaust Du angeblich liebend gerne diese stumpfen Mittagsserien im Fernsehen.
Jackie Leven: Ja, da stehe ich drauf, geb' ich zu. Besonders großartig finde ich diese billigen Talkshows, diese Gerichtssendungen und die Wiederholungen der alten Krimiserien aus den USA. Gütiger Gott - fantastisch! Diese Autoverfolgungsjagden! Diese Schießereien! Detektiv Rockford! Und immer weiß man schon vorher, was passiert. That the real shit! (lacht)
Arbeitest Du noch nach Deinen Grundsatz: Wenn du einen Job machst, mach ihn richtig. Außer, wenn es Zeit ist, zu trinken.
Jackie Leven: Es ist halt wichtig, sich Auszeiten zu nehmen, denn als Musiker bin ich wie mein Handy: Selbst wenn es nicht benutzt wird, sucht es stets nach der nächstgelegenen Antennenstation, und ist immer im Hintergrund aktiv. So bin auch ich: Immer auf Empfang. Ich muss lernen, mein Unterbewusstsein ab und zu mal auszustellen. ~ Stefan Woldach (teleschau)
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