Im Kampf mit sich selbst
Bloc-Party-Sänger Kele Okereke veröffentlicht sein Solodebüt "The Boxer"
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Im Kampf mit sich selbst
Bloc-Party-Sänger Kele Okereke veröffentlicht sein Solodebüt "The Boxer"
24.06.2010 Offiziell haben Bloc Party nur ein Jahr Pause eingelegt. Die Zukunft der britischen Indie-Rocker scheint dennoch ungewiss: Sänger Kele Okereke veröffentlicht mit "The Boxer" nicht nur sein erstes Album unter eigenem Namen, sondern bewegt sich musikalisch auch ein gutes Stück von seiner Band weg. Bloc Party vor dem Aus? Ein anderes, langjähriges Gerücht räumte Okereke vor Kurzem aus: Im "Butt Magazine" hatte der Sänger sein Coming Out, er sprach über seine Homosexualität. Es gibt also Redebedarf - doch Okereke gilt als misstrauischer Gesprächspartner, selbst Wikipedia nennt ihn "extrem scheu". Zu Beginn des Interviews am Nachmittag streikt das Diktiergerät. Sofort entwickelt sich ein lebhaftes Gespräch: Okereke bereut, nicht richtig studiert zu haben, und denkt laut über die Möglichkeit nach, das irgendwann nachzuholen. Als das Aufnahmegerät wieder funktioniert, duckt er sich ins Sofa hinein und zieht die Schultern hoch. Kele Okereke geht in Abwehrhaltung.
Willst Du noch darüber reden, dass Du es bereust, keinen Universitäts-Abschluss zu besitzen?
Kele Okereke: Nicht wirklich. Manchmal wünsche ich mir, eine irgendwie geartete Qualifikation zu besitzen. Doch dafür ist ja noch genug Zeit. Ich kann immer noch in die Uni gehen.
Denkst Du konkret darüber nach, dass es mit der Musik irgendwann vorbei sein könnte?
Okereke: Ja. Es ist nicht mal so, dass ich denke, irgendwas könnte mich irgendwann gegen meinen Willen daran hindern, Musik zu machen. Vielmehr glaube ich, dass ich das gar nicht für immer machen möchte. Ich führe ein sehr interessantes Leben, doch sehr viele Begleiterscheinungen empfinde ich als unangenehm. Man ist ständig unterwegs, monatelang sieht man seine Freunde nicht, man vermisst menschliche Beziehungen. Das ist kein Leben, das ich für immer leben möchte.
Ist der Erfolg, den Du mit Bloc Party hast, kein guter Ausgleich?
Okereke: Klar, das ist unbeschreiblich. Aber es ist für mich auch sehr irritierend, wenn ich mich selbst in Magazinen und im Internet sehe. Das weckt das Gefühl, ich sei jemand außerhalb meines eigenen Körpers.
Hast Du Kontrolle über das Bild, das in den Medien von Kele Okereke kursiert?
Okereke: Nein, das kommt noch dazu. Während ich Interviews gebe, habe ich das Gefühl, es seien normale Gespräche. Das ist aber falsch. Wenn wir nachher fertig sind, kannst Du schreiben, was Du willst. Du kannst das, was ich gesagt habe, in einem anderen Sinn benutzen, Du kannst es zu etwas hinbiegen, das ich nie sagen würde. Wir führen keine richtige Unterhaltung, sondern Du hast es in der Hand. Deswegen fällt es mir oft schwer, mich für Interviews zu begeistern.
Wie steht es um die Band? Die offizielle Sprachregelung ist: Bloc Party machen Pause. Was bedeutet das?
Okereke: Wir machen ein Jahr Pause. Ich hätte gerne schon dieses Jahr ein neues Album mit Bloc Party gemacht, aber die anderen brauchten eine Pause. Wir waren in den letzten fünf Jahren nonstop unterwegs. Eigentlich wollte ich gar kein eigenes Album aufnehmen, aber ich hab einfach weiter Musik gemacht, und dann war es plötzlich fertig. Ich bin sehr froh drum. Es war eine sehr gute Erfahrung.
Sind die Songs auf "The Boxer" Bloc-Party-Songs?
Okereke: Nein. Die Songs kamen zu mir, als ich im Studio war und jammte. Ich war da allein, weswegen die Songs nie Bloc-Party-Songs hätten werden können. Die Herangehensweise war anders: Nachdem ich den Drumbeat programmiert hatte, habe ich versucht, alles, was in meinem Kopf war, in Musik zu verwandeln. Die Studiozeit war von Spontaneität geprägt, ich saß da und tüftelte vor mich hin.
Die Musik ist sehr unterschiedlich. Einiges klingt schon nach Bloc Party, einiges gar nicht. Woher kommt die Stilvielfalt?
Okereke: Wie man auch in meinem Blog sehen kann, mag ich sehr viele verschiedene Arten von Musik. Es wäre unbefriedigend gewesen, ein Album aufzunehmen, das sich nur einer Richtung widmet. Im Bereich der elektronischen Musik entstehen zurzeit so viele fantastische Sachen, dass ich nicht anders kann, als davon begeistert zu sein.
Die große Erfolgsphase des Indie-Rock ist vorbei, oder?
Okereke: Das sage ich seit fünf Jahren. Es ist sehr reizvoll, in einer Rockband zu spielen. Aber gleichzeitig ist es unglaublich schwer, mit Gitarre, Bass und Schlagzeug etwas zu erfinden, das nicht schon von den Beatles aufgenommen wurde. Daher ist Indie längst nicht so aufregend wie elektronische Musik. Dort kannst du machen, was du willst, die einzige Grenze ist die deiner Vorstellungskraft. Das ist für jemanden wie mich wirklich faszinierend und aufregend. In einer Rockband läuft es immer so ab: Schrumm-schrumm-schrumm, Strophe, Refrain, Gitarrensolo, Refrain. Man kann auch experimentieren: Strophe, Strophe, Refrain, Bridge, Strophe. (lacht)
Oder gar keinen Refrain.
Okereke: Oder gar keinen. (lacht) Im Ernst: die Ausdrucksstärke deiner Musik ist durch das begrenzt, was du auf dem Instrument spielen kannst. Das hat seinen Reiz für mich verloren.
Wenn man Dich so reden hört, stellt sich die Frage, ob denn überhaupt ein nächstes Bloc-Party-Album in Planung ist ...
Okereke: Nein. Wir treffen uns Ende des Jahres. Dann werden wir sehen.
Könnte es sein, dass Bloc Party 2011 Geschichte sind?
Okereke: Könnte sein. Es ist ja nicht nur meine Entscheidung. Wir sind vier Leute in der Band, wir müssen musikalisch auf derselben Wellenlänge sein. Sind wir das nicht, machen wir Schluss.
Warum hast Du das Album "The Boxer" genannt?
Okereke: Weil ich das Bild vom Überleben mit deinen eigenen Instinkten mag. Es hat nichts mit Kämpfen zu tun, viel eher damit, dass man Entschlüsse fasst, die das eigene Leben verändern.
Gibt es einen roten Faden in den Texten?
Okereke: Darüber habe ich mir bisher keine Gedanken gemacht. Bei Bloc Party schrieb ich die Texte, lange bevor die Musik fertig war. Wenn wir aufnahmen, sang ich vom Blatt ab. Ich hatte oft das Gefühl, dass Texte und Musik nicht recht zueinander passten. Für "The Boxer" hatte ich mir vorgenommen, das zu vermeiden. Alles sollte organisch klingen. Ich hab also gar keine Lyrics aufgeschrieben, sondern darüber gesungen, was mir durch den Kopf ging, als ich mit dem Fahrrad ins Studio gefahren bin. Sehr viele Songs drehen sich darum, entschieden "Nein!" zu sagen. Zu eigenen Verhaltensweisen oder zu Umständen, die mir schaden. Zum Beispiel "All The Things I Could Never Say" handelt von einem Liebespaar. Sie bewegen sich voneinander weg, und der eine sagt: Das ist genug, jetzt ist Schluss. "Rise" erzählt, wie einer aufhört, Drogen zu nehmen, weil er bemerkt hat, dass sie nicht gut für ihn sind, genauso wie "Holy Thoughts". "Yesterday's Gone" handelt von dem Betreten eines neuen Pfades im Leben.
Du hast Dich vor Kurzem als homosexuell geoutet. Das Gerücht geisterte umher, doch bisher hast Du immer gesagt, dass derart Privates nicht Gegenstand von Interviews sein sollte, weil das nichts mit Deiner Arbeit als Musiker zu tun habe. Doch das bezweifle ich.
Okereke: Ja, ich bezweifle das auch. Was sind deine Gründe?
Deine Homosexualität ist nun mal ein bedeutender Teil deiner Persönlichkeit. Ich vermute, dass Du auf eine ganz andere Weise behandelt wurdest als andere - gerade im immer noch vorwiegend heterosexuellen Rockbusiness. Abgesehen davon glaube ich, dass persönliche Erfahrungen immer einen Einfluss auf das haben, was man tut. Also auch auf Deine Musik ...
Okereke: Ja, da hast du Recht. Klar schärft das meine Perspektive. Ich bin aber nicht der Auffassung, dass ich darüber reden muss, nur weil ich schwul bin und andere Musiker nicht. Meine Musik ist ja auch nicht unbedingt als genuin homosexuell zu bezeichnen. Irgendwann stellte ich fest, dass es Menschen gibt, denen wichtig sein könnte, dass ich mich oute. Ich dachte an junge, homosexuelle Menschen, die eine Bezugsperson in der Öffentlichkeit suchen. Wenn ich in Clubs gehe, treffe ich immer wieder junge Schwule, die es aufbaut, dass in einer fast schon im Mainstream angekommenen Band ein homosexueller Mann singt. Ich verstand: Darum geht's, und nicht darum, ob ich darüber reden will oder nicht. Wenn es für junge homosexuelle Menschen, die es ohnehin schon schwer genug haben, einen Unterschied macht, dann ist es richtig und wichtig, dass ich mich öffentlich geoutet habe. Doch nach wie vor bin ich ein privater Mensch und rede über viele Dinge nicht mit Fremden. (grinst) ~ Benjamin Weber (teleschau)
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