K'NAAN

"Gewalt spielte eine große Rolle"


Zwischen Flucht, Gewalt und HipHop: die Geschichte des somalischen Rappers K'naan

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"Gewalt spielte eine große Rolle"

Zwischen Flucht, Gewalt und HipHop: die Geschichte des somalischen Rappers K'naan

26.05.2010 Neun Jahre alt war K'naan, als er HipHop entdeckte - zehn oder elf, als er zu rappen anfing. Bemerkenswert ist das vor allem, weil K'naan, geboren 1978, damals in der somalischen Hauptstadt Mogadischu lebte - einer Stadt, die gerade in einen schlimmen Bürgerkrieg hineinschlitterte. K'naan flüchtete 1991 gemeinsam mit seiner Familie nach Amerika und rappte weiter. Heute ist er der wohl bekannteste Rapper mit afrikanischen Wurzeln und im HipHop durchaus angesehen. So sprach er einen Gastpart für die Nas-Damien-Marley-Zusammenarbeit "Distant Relatives" ein, sang gemeinsam mit Mary J. Blige und tourte mit Mos Def und Talib Kweli. Dass sein "Wavin' Flag" einer der Hits des Sommers ist und sich auch sein Album "Troubadour" zum Verkaufsschlager entwickeln dürfte, liegt allerdings an etwas anderem: Coca Cola wählte die Single als Titelmelodie seiner WM-Kampagne aus. Ungewöhnlich - bei seiner bewegten und von Gewalt geprägten Vergangenheit.

Erinnerst Du Dich an Deine allererste Begegnung mit HipHop?

K'NAAN - R

K'naan: Ich hörte irgendwann einen Popsong mit einem Rap drinnen. Das war "I Need You" von B.V.S.M.P. - und das gefiel mir so gut, dass ich meinen Vater, der in New York lebte, fragte, was das sei. Er sagte: "Das nennt man HipHop, und das läuft hier in Amerika an jeder Ecke." Er schickte mir dann ein Tape von Erik B. und Rakim. Das war mein allererstes Album, und das Tape hörte ich ununterbrochen. Ich hatte natürlich überhaupt keine Ahnung, was die da sangen ...

Was dachten Deine Freunde?

K'naan: Kids kamen zu mir, um das anzuhören. Ich fing dann ja bald selber das Rappen an und schlug auf einem alten Eimer Beats. Die dachten sich: "Wow, der Typ spricht 'ne geheime Sprache". Und das Coolste war: Ich konnte den Sprachfluss von Rakim ganz genau nachmachen. Es klang so, als ob ich ganz genau wüsste, was ich da rappe.

Hast Du Deinen Vater jemals gefragt, was der Typ eigentlich erzählt?

K'NAAN - R

K'naan: Nein, weil ich meine eigenen Vorstellungen von den Stücken hatte. Ich überlegte mir einfach, um was es da gehen könnte. Ich stellte mir auch die Instrumente vor. Ich hatte ja keine Ahnung von Beats, wusste nicht, wie ein Schlagzeug aussah. Mein Lieblingsklang war der der Snare. In meinem Kopf nahm da jemand eine Holzlatte und schlug damit auf diese Metalgitter, die man in Stahlbeton eingießt. Es war für mich einfach absolut klar, dass dieser Klang so entstand.

Wie weit war Somalia zu diesem Zeitpunkt bereits im Krieg?

K'naan: Als ich neun war, herrschte noch Frieden. Der Krieg kam ein, zwei Jahre später. Aber Du darfst nicht vergessen, dass Krieg nicht immer plötzlich da ist. Er schleicht sich an. Erst Gerüchte, kleinere Auseinandersetzungen. Dann kommen die Einschläge näher. Und irgendwann sieht man ihn. Aber damals war ich ein ganz normales Schulkind, das eben dieses eine HipHop-Tape hatte.

Blieb es bei einem?

K'naan: Ja, aber es war viel andere Musik im Haus. Zum Beispiel italienischer Pop, weil mein Vater Italienisch sprach. Musik und Kunst waren bei uns extrem wichtig. Meine Tante ist die wohl populärste Sängerin Somalias, mein Großvater ein Schriftsteller. Schon mit fünf, sechs Jahren ging ich in Musicals, ins Theater. Die Künstler-Gemeinschaft Mogadischus war oft bei uns zu Hause. Die Leute, die ich im Fernsehen sah, saßen abends am Küchentisch.

Wolltest Du Künstler werden? Beeindruckte Dich das?

K'NAAN - M

K'naan: Nein, ich wollte Augenarzt werden. Meine Großmutter wurde mit dem Alter fast blind. Also gingen wir zum Augenarzt. Sie erzählte von dieser trüben Wolke, die sie im Blickfeld habe - und er sagte, er könne nichts dagegen tun. Er stand da in seinem weißen Kittel, leuchtete in ihre Augen und sagte: "Sie ist halt alt." Das verletzte mich, weil ich dachte: Wenn ich Arzt wäre, würde ich auch die Augen der alten Menschen richten. Es wäre mir egal, ob sie alt wären, ich würde mich um alle kümmern.

Wie alt warst Du, als Du Somalia verlassen musstest?

K'naan: 13, 14. So etwas.

Welche Sprache sprachst Du?

K'NAAN - W

K'naan: Somali. Etwas Arabisch konnte ich auch. In den USA ging ich dann bis zur zehnten Klasse in die Highschool, danach nicht mehr. Dort lernte ich dann Englisch. Übrigens ziemlich schnell, jemand von der University Of Minnesota hat einmal eine Arbeit darüber geschrieben, weil ich offenbar so eine Art Wunderkind war und bereits zwei, drei Jahre nach meinem Umzug Sachen schrieb, die eigentlich jemand, der kein Native Speaker ist, gar nicht draufhaben kann.

Bereust Du unter diesem Gesichtspunkt manchmal, dass Du vor dem Schulabschluss abgingst?

K'naan: Nein, ich bin sehr glücklich, dass ich nicht in der Schule blieb. Ganz einfach, weil ich glaube, dass mein Leben sonst eine andere Wendung genommen hätte. Ich wäre jetzt kein Künstler. Ich wäre nicht zufrieden. Die ganze soziale Struktur des Systems Schule funktionierte für mich nicht. Ich war niemals interessiert daran, das zu machen, was die anderen von mir erwarteten. Vielleicht hätte ich mich irgendwie damit arrangiert. Aber auch das wäre mir nicht genug gewesen.

Du bist zunächst nach Harlem gezogen, später nach Rexdale, einem Vorort von Toronto. Wie sah in diesen Stadtteilen die soziale Struktur aus?

K'naan: Harlem war schlimm. Rexdale war noch ein ganzes Stück schlimmer. Es ist die Stadt Kanadas mit den meisten Mordfällen, wenn man es auf die Bevölkerung umrechnet. Es gab einen Strich, Schlägereien, vor allem aber Schießereien. Aber genau das sind die Stadtteile, die du dir als Immigrant eben leisten kannst.

Hast Du dort rasch Anschluss an so etwas wie eine HipHop-Community gefunden?

K'naan: Nein, überhaupt nicht. Ich habe den anderen jungen Somalis etwas vorgerappt. Der Unterschied zu vielen Kids aus der Nachbarschaft war ganz einfach: Die hatten keine Geschichte. Die rappten über nichts. Ich wollte immer was erzählen. Wenn ich die coolen Turnschuhe, die andere hatten, nicht kaufen konnte, habe ich darüber einen Rap geschrieben. Einen witzigen, der auch selbstironisch war und eben davon handelte, dass wir so gerne cool wären, es aber leider nicht sein konnten.

Wir sprechen über die mittleren 90er-Jahre, als der Kampf zwischen East- und Westcoast-Rappern die Medien dominierte und vor allem über Gewalt gerappt wurde. Wie hast Du mit Deiner Geschichte diese Auseinandersetzung betrachtet?

K'naan: Wir dachten natürlich alle, dass diese amerikanischen Rapper keine Ahnung davon hätten, was Krieg überhaupt bedeutet. Aber es war dennoch die einzige Form von Musik, zu der wir eine Verbindung aufbauen konnten. Krieg ist auch so etwas wie eine Droge. Und wenn du den Krieg verlässt, fehlt da plötzlich irgendwas. So schön es ist, Frieden zu haben, fehlt plötzlich das Adrenalin. Das war für uns das Schlimmste. So waren wir eine Gruppe Heranwachsender, die durch die Straßen zogen und Spannung suchten.

Wie wichtig war Gewalt?

K'naan: Gewalt spielte eine große Rolle. Aber ich glaube, dass unsere gerechtfertigter war als die vieler anderer. Wir beschützten uns im Prinzip selber vor dieser für uns neuen Kultur, die wir erlebten. Die hatten dort eben alle ihre Gangs. Und wir kamen einfach in ihr Gebiet rein. Also organisierten wir uns. Irgendwann hatten wir einen Ruf, der sogar über Kanada hinausging. Kernsatz war: "Fass' keinen Somali an. Wenn du das machst, kommt die ganze Gruppe. Egal, wo du wohnst." Nach zwei Jahren hatten die meisten von uns bereits dicke Polizeiakten. Jeder, den ich kenne, war im Gefängnis. Deshalb, um auf Deine Frage zurückzukommen, machte Tupac Sinn. Deshalb machte Biggie Smalls Sinn. Aber wenn wir uns trafen und deren Texte lasen, mussten wir trotzdem lachen.

Hast Du es geschafft, Schwierigkeiten mit dem Gesetz zu vermeiden?

K'naan: Überhaupt nicht, auch ich war im Gefängnis. Ich war kein guter Typ, erst die Musik holte mich da raus. Ich habe neulich erst darüber nachgedacht, weil in Kanada ein recht großer Artikel über meine Geschichte geschrieben wurde und ich dafür lange erzählen musste. Und da fiel mir wieder ein, dass ich acht meiner Freunde verlor. In Nordamerika. In ein paar Jahren! Jedes Jahr wurden also zwei, drei Freunde von mir umgebracht oder brachten sich selber um. In Nordamerika. Das sind zu viele.

Für was warst Du im Gefängnis?

K'naan: Verschiedene Waffendelikte, Körperverletzung, Gang-Aktivitäten. Das Übliche halt. Wir waren Kriegskinder, und damit ein Fehler im System in der Kultur, in der wir gelandet waren. Alles, was wir tun konnten, war kämpfen. Ich hörte erst auf, als meine besten Freunde starben. Da verließ ich Kanada, ging in die USA, kümmerte mich um meine musikalische Laufbahn. Wenn ich das nicht gemacht hätte, säße ich jetzt entweder im Gefängnis oder wäre tot.

Hast Du noch Verbindungen zu Deiner ehemaligen Nachbarschaft? Spürst Du irgendeine Art der Verantwortung?

K'naan: Das ist schwierig. Ich glaube, darüber muss man gar nicht so viel reden. Ich denke, die Jugendlichen dort sehen, was ich tue. Und das ist das Wichtigste. Wenn ich zurückkomme, bekomme ich durchaus Liebe und Respekt von der neuen Generation, die genau so aufwächst, wie wir damals aufgewachsen sind. Manchmal denke ich mir, dass es für mich leichter gewesen wäre, wenn ich damals jemanden wie mich gehabt hätte, ein Vorbild.

Du wohnst heute in den Staaten - ist das mittlerweile Deine Heimat?

K'naan: Nein. Ich würde sagen, dass Toronto meine Heimatstadt ist. Aber eine Heimat? Nein, eine Heimat ist etwas ganz anderes. Ich war so lange unterwegs, habe an so unterschiedlichen Orten gelebt, dass ich nicht weiß, wo das sein soll. ~ Jochen Overbeck (teleschau)


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