"Fantasie ist das Schlüsselwort"
Die deutschen Thrash-Metal-Legenden Kreator wehren sich gegen eindimensionale Vorurteile
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"Fantasie ist das Schlüsselwort"
Die deutschen Thrash-Metal-Legenden Kreator wehren sich gegen eindimensionale Vorurteile
09.01.2009 In Metal-Kreisen wird momentan leidenschaftlich über Produktionsweisen diskutiert. Die einen schwärmen vom technischen Fortschritt, die anderen wollen das Live-Gefühl zurück ins Studio holen. Zu letzterer Einstellung bekennen sich die Thrash-Urgesteine von Kreator mit "Hordes Of Chaos": Produzent Moses Schneider (Beatsteaks, Tocotronic) wurde diesmal engagiert, um frischen Wind in den knöchern-harten Wald zu bringen, während der Mix in den Händen von Colin Richardson (Slipknot, Bullet For My Valentine) lag. Eine Neuerung, die Chefschöpfer Miland "Mille" Petrozza und seine Jungs jedoch nicht davon abhielt, gewohnt brachiale Kreationen aufzutischen.
Habt Ihr für "Hordes Of Chaos" bewusst keinen Metal-Produzenten verpflichtet?
Miland Petrozza: Ja. Wir wollten jemand mit einer frischen Herangehensweise. Wir wollten jemand, der uns als Band sieht und die Essenz der Musik erkennt und nicht jemand, der mit der Historie der Band vertraut ist und - bewusst oder unbewusst - ein Bild der Band im Kopf hat. Den "Metal-Faktor" haben wir dann durch Colin Richardson belebt. Durch seinen Mix entstand der brachiale Sound.
Musikalisch ist das Album aber 100% Kreator.
Petrozza: Definitiv. Das wollten wir auch nicht verändern. Dafür gibt es keinen Grund.
Wie erfindet man sich immer wieder neu?
Petrozza: Man muss Abstand gewinnen. Man muss zwischendurch Pause machen. Man muss sich zwischendurch mit anderen Dingen beschäftigen. Man muss in der Lage sein, seine Band von außen zu betrachten. Man darf nie den Fehler machen und denken, man ist angekommen. Sondern man muss immer auf der Suche nach Neuem sein.
"Destroy What Destroys You" heißt einer der neuen Songs. Eine Hommage an Rio Reisers berühmte Zeile "Macht kaputt, was euch kaputt macht"?
Petrozza: Ja. Denn was Ton Steine Scherben gemacht haben, war - natürlich nicht auf musikalischer, sondern auf textlicher Ebene - sehr nah an dem, was wir heute machen. Ich konnte mich mit den Texten von Rio Reiser schon immer gut identifizieren, weil sie zum Teil sehr zeitlos sind. Meiner Meinung nach war er einer der größten Lyriker in Deutschland. Leider im Ausland kaum bekannt. Deshalb ist "Destroy What Destroys You" für mich eine Art Tribut an Rio Reiser.
Auch interessant: "Absolute Misanthropy". Ein Gegenentwurf zum Liebeslied?
Petrozza: Zu diesem Text bin ich inspiriert worden, als ich den Film "Der Menschenfeind" gesehen habe. Ein französischer Film, großartig, nur zu empfehlen. Völlig übertrieben, sozusagen ein Anti-Liebesfilm. Ein Mensch, der voller Hass ist, völlig krank. Mich in diese Situation zu begeben, in diesen Geisteszustand zu versetzen, das versuchte ich bei "Absolute Misanthropy". Dass ich sage: "Ich bin jetzt derjenige, der die Welt hasst." Viele Leute leben solche Gefühle nicht aus, kriegen Magengeschwüre oder irgendeinen anderen Scheiß. Wenn du deine Aggressionen rauslässt, hast du höhere Überlebenschancen. Du kannst sie in jedweder Form ausdrücken. Am Besten produktiv und nicht aggressiv gegen andere. Ein Menschenfeind ist natürlich jemand, der alles nur sehr negativ sieht. Ich bin genau das nicht. Aber es macht mir Spaß, mich ab und zu in solche Gedankenspielchen rein zu versetzen.
Heavy Metal bietet die Möglichkeit, Aggressionen auf produktive, kreative, geradezu positive Weise abzubauen.
Petrozza: Genau. Das haben viele Leute aber noch nicht begriffen. Viele Leute denken immer noch, dass wir das alles ernst meinen. Ist doch totaler Schwachsinn. Du musst immer eine ironische Distanz zu den Dingen halten. Die meisten Metaller, die ich kenne, sind sehr umgängliche Zeitgenossen.
Und Menschen, die nicht alles schön reden. "Violence Is Conquering The World" heißt es in "Warcurse". Ist die Welt wirklich so schlimm?
Petrozza: Ja klar. Irgendwie hört sich alles so pessimistisch an, wenn Du mir das so zitierst. Es ist natürlich alles übertrieben. Und es ist alles ein bisschen überspitzt ausgedrückt. Aber nicht nur. Weil all diese Dinge mit der Realität zu tun haben. Wenn ich sage, dass die Gewalt die Weltherrschaft übernehmen wird, dann ist das so. Wir sind hier in Deutschland im warmen Nest und beobachten die Dinge nur von außen. Wenn du aber momentan in Afghanistan oder im Irak lebst, dann hast du genau das. Weißt du, wenn ich als Kiddie Science-Fiction-Comics gelesen habe, dann war das immer so, dass im Jahr 2000 alles gut sein wird. Da werden keine Kriege mehr existieren. Da wird die Menschheit zur Vernunft kommen. All das ist nicht eingetreten. Der bescheuerte Drang, Kriege zu führen, Leute zu töten, Territorien mit Gewalt einzunehmen. Alles Dinge, die in der menschlichen Natur so stark verankert sind, dass sie wahrscheinlich bis zum Ende der Menschheit existieren werden. Das ist kein pessimistischer, sondern ein realistischer Gedanke.
Sind Kreator das soziale Gewissen des Thrash Metal?
Petrozza: Ich glaube, der Thrash Metal war im Ursprung eigentlich mal das soziale Gewissen des Metal. Und wir sind eine der wenigen Bands, die das noch aufrecht erhalten. Ich bin damit aufgewachsen, für mich war Thrash Metal immer irgendwie politisch. Aber nicht mit dem erhobenen Zeigefinger. Das find ich zum Kotzen. Wir versuchen mit unseren Texten eine Art Abbild der Realität zu schaffen. Man kann sich das durchlesen, man muss es aber nicht. Sagen wir es so: Ich sehe Kreator auf keinen Fall als RTL II des Metal. Sondern eher als "Tagesthemen" oder so.
Oder als KI.KA des Metal?
Petrozza: Das Thema musste ja kommen.
Ich fand es gut, wie Du dort 2004 in einer Sendung Kindern Metal erklärt hast. In krassem Gegensatz dazu steht natürlich die Indizierung von "Live Kreation". Das CD-Cover würde ich meinem Kind nicht unter die Nase halten.
Petrozza: Ich verstehe genau, was Du sagen willst. Ich habe keine Kinder. Sicher, ich würde als Elternteil wahrscheinlich auch schauen, dass das Kind nicht sofort Horror und Monster vorgesetzt bekommt. Ich find es aber ganz gut, wenn man als Kind erkennt, was Fantasie ist, was gezeichnet ist. Das war bei mir als Kind so. Ich war totaler Horror- und Monsterfan, ich habe sehr gerne die Godzilla-Filme geschaut. Und ich habe genau gesehen: Das ist Quatsch. Ich wusste genau, dass das nur gemacht ist, aber ich war trotzdem davon fasziniert. Ich glaube, das ist genau das, was Kreator machen. Ein bisschen comic-artig, übertrieben.
Was hast Du Dir gedacht, als die Zensurmeldung kam? "Ist mir egal" oder "Diese Deppen"?
Petrozza: Eher so in die Deppen-Richtung. Hey, das ist so typisch. Man sieht genau, dass es eine Zeichnung ist. Das ist eine übertriebene Darstellung. Das ist nicht echt. Da gibt es Schlimmeres. Ich bin auch gegen bestimmte Dinge. Ich mag es zum Beispiel nicht, wenn man echte Dinge auf ein Cover packt. Irgendwelche Verkehrsopfer oder so, das finde ich widerlich. Ich bin ein Freund der Darstellung. Fantasie ist das Schlüsselwort. ~ Alexander Diehl (teleschau)
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