"Besser für alle"
Der ehemalige Freundeskreis-Sänger verabschiedet sich von Joy Denalane und vom HipHop
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"Besser für alle"
Der ehemalige Freundeskreis-Sänger verabschiedet sich von Joy Denalane und vom HipHop
22.09.2009 Natürlich sind Songtitel wie "Blick nach vorn", "Scherben" oder "Weg von hier" Wasser auf den Mühlen der Boulevardberichterstatter. Die Pop-Ehe Joy Denalane und Max Herre wurde vor zwei Jahren geschieden. Nun antwortet der ehemalige Freundeskreis-Sänger mit einem Album, das die Vergangenheit aufarbeitet, sich aber vor allem auf der Suche nach Neuem befindet. Vordergründig betrachtet ist "Ein geschenkter Tag" tatsächlich ein trauriges Album, da es auf HipHop verzichtet, überwiegend ein balladeskes Tempo anschlägt und musikalisch vor allem beim Folk der frühen Siebziger fischt. Max Herre wäre jedoch nicht einer der besten deutschen Songwriter, würde er nicht das Private in eine gesellschaftliche Vision überführen. Ein Gespräch über das magische Jahr 1973, die goldene Regel zur Vermeidung von Kitsch und eine erstaunliche erwachsene Trennungsgeschichte.
Ihr letztes Album stammt von 2004. Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren getan?
Max Herre: Nach der Tournee zu meinem letzten Album arbeitete ich 2005 vor allem am Album von Joy, das ich ja produziert habe. Als Joy ihr Album 2006 promotete und ihre Konzerte spielte, kümmerte ich mich um unsere beiden Kinder. Das war bei uns immer so und kann auch nicht anders laufen, wenn beide Eltern Musiker sind. Wenn einer arbeitet, ist der andere für die Familie da. 2007 war dann ein schwieriges Jahr, denn Joy und ich trennten uns. Immerhin gab es damals ein Revival von Freundeskreis, das hat mich ein bisschen abgelenkt. Ich kam tatsächlich erst Ende 2007 dazu, mir zu überlegen, was ich musikalisch Neues machen will.
Auf diesem neuen Album sind sämtliche Spuren von HipHop verschwunden. War das ein schwerer Abschied für jemanden wie Sie? Schließlich haben Sie das Genre in Deutschland populär gemacht ...
Herre: Die ersten Song-Skizzen, die damals aus der Zeit noch vor der Trennung hatte, waren tatsächlich Rap-Sachen, doch die passten einfach nicht zu dem, was ich erzählen wollte und konnte. Das, was mir auch auf dem Herzen lag. Die Sachen, die ich davor geschrieben hatte, waren auch schon von Folk beeinflusst, aber ich dachte, ich könnte die singen und dann auch mal ne Strophe rappen. Ich fühlte mich immer wohler mit dem Gesang, doch die Raps haben irgendwie nicht gepasst. Im Gegensatz zum ersten Soloalbum wollte ich diesmal ein homogenes Album machen.
Sie sind kein klassischer Songwriter in dem Sinne, dass Ihre Musik immer schon am Klavier oder der Gitarre entstanden ist. Wie schreibt man als HipHop-Musiker ein Folkalbum?
Herre: Zunächst fragte mich, wie man schöne lyrische Songs schreibt, bei denen man nahe bei sich ist, ohne sein Privatleben zur Schau zu stellen. Ich tat mich mit dem Gitarristen Frank Kuruc zusammen, mit ihm habe ich schon für Joy und Freundeskreis geschrieben. Er kam mit seiner Gitarre nach Berlin, ich hatte Skizzen für die Songs. Unsere ersten Versuche mit den Liedern bestanden aus Gitarre, Gesang und ein paar Beats, die ich programmiert hatte. Es waren drei oder vier Sessions. Vorher hatte ich lange geschrieben und gesammelt. Es gab zwei Bücher voll mit Strophen und Fragmenten. Für März haben wir dann einen Termin im Studio gemacht, um ein bisschen Druck zu erzeugen. Wir stellten eine Band zusammen und nahmen in fünf Tagen 15 Songs auf.
Sie sagten einmal, dass die meisten Ihrer Lieblingsplatten von 1973 stammen - dem Jahr, in dem Sie geboren sind. Damals wurde Soul und Rock, schwarze und weiße Musik, noch für klar getrennte Zielgruppen produziert. Welche war einflussreicher auf den Musikgeschmack von Max Herre?
Herre: Die Trennung in weiße und schwarze Musik passierte gesellschaftlich, auch die Charts funktionierten getrennt. Musikalisch war es jedoch eine Zeit, in der vieles verschmolz und sich stark gegenseitig beeinflusste. Wenn man sich eine Neil-Young-Platte wie "Harvest" von 1972 anhörst und danach "Let's Stay Together" von Al Green auflegt, stellt man fest, dass der Sound sehr ähnlich ist. Schlagzeug, Bass - die Ästhetik ist fast die gleiche. Leute wie Jimi Hendrix bewegten sich perfekt zwischen beiden Welten. Led Zeppelin wollten klingen wie der schwarze Bluesmusiker Muddy Waters. Nun gut, sie haben mit Drogen experimentiert, und es ist etwas anderes dabei herausgekommen. Aber es ist alles schon damals sehr viel verknüpfter gewesen, als manche heute denken.
Ist es Zufall, dass Sie auf einigen Songs klingen wie Udo Lindenberg und sogar ein Lied von ihm covern? Gerade jetzt, da er nach langen Jahren der kreativen Durststrecke wieder künstlerisch rehabilitiert ist?
Herre: Ich singe auf Deutsch, und man darf wissen, dass ich mit Udo Lindenberg groß geworden bin. Er war mit der Erste, der gute deutsche Texte im Pop gemacht hat. Eine der ersten LPs, die ich hörte, war tatsächlich "Udopia". Als ich ein Kind war, hatten wir Mitbewohner und darunter eine Frau, die ein ganz großer Udo Lindenberg-Fan war. Ihr Sohn war drei Jahre älter als ich, und die hörten das die ganze Zeit. Und ich war immer am Mitträllern. Das erste große Konzert, auf das ich ging, war die "Götterhämmerung"-Tour in der Stuttgarter Schleyerhalle - da war ich elf Jahre alt. Bis dann Bob Marley kam, war das mein großer Einfluss. Ich war zu jung, um in dieser Fankultur dabei zu sein. Aber Lindenberg ist ein wichtiger Einfluss für mich als Texter und Musiker geblieben. Bereits auf "Quadratur des Kreises" von Freundeskreis hatten wir ein Udo-Cover, "Baby, wenn ich down bin".
Kann man von guten Udo-Lindenberg-Liedern lernen, wie man emotionale deutsche Texte schreibt, die haarscharf am Kitsch vorbeizielen?
Herre: Als Texter bin ich immer auf diesem schmalen Grat gewandelt. Ich wollte immer emotional sein, aber nicht ins Kitschige kippen - obwohl natürlich andere entscheiden müssen, ob mir das gelungen ist. Ich denke, ich habe ein Sensorium dafür, das zieht sich bei mir durch seit einem Lied wie "Anna". Dadurch, dass es ehrlich und pur ist, hat es nichts Aufgesetztes. Kitsch ist nichts Anderes als aufgesetzte Emotion. In dem Moment, wo man ehrlich ist, kann es nicht kitschig sein. Dann ist es Folk oder Folklore im weiteren Sinne. Folk ist der direkteste Ausdruck, den Menschen haben, und oft alles andere als kitschig - sei es nun Musik aus Spanien, Griechenland oder der amerikanische Blues.
Natürlich wird man dieses melancholische Album mit Ihrer Trennung von Joy Denalane und dem Zerbrechen einer Familie mit zwei Kindern zusammenbringen. Wie sehr müssen Sie Ihre Familie vor Ihrer Kunst schützen und umgekehrt?
Herre: Es gibt viele Songs, die bei mir anfangen und sich weiterentwickeln. Bei denen beschreibe ich, an welchem Punkt ich stehe, aber bald geht es darüber hinaus. So etwas wie "Blick nach vorn" - das ist natürlich auch ein Zuspruch an mich selbst. Man steht da und weiß noch nicht, wo es hingeht. Dann macht man einfach etwas, zum Beispiel ein paar Songs. Durch das, was man macht, bekommt das Ganze eine Richtung. Das Tolle am Musikmachen ist, dass man tatsächlich auch ein Ventil hat, wenn es einem schlecht geht. Der lyrische Prozess war diesmal anders als sonst bei mir. Die anderen Alben waren Produzentenplatten. Man hatte Bock auf eine bestimmte Musik und suchte sich ein textliches Thema dazu. Diesmal saß ich zu Hause und überlegte mir, wo es hingeht. Wie es weiter gehen soll. Das habe ich dann mit Musik verbunden.
Haben Sie Angst, dass Ihre Trennung durch diese Platte noch einmal medial aufgearbeitet wird?
Herre: Ich finde, dass die Art und Weise, wie medial damit umgegangen wird, sehr dezent ist. So wie Joy und ich auch dezent damit umgegangen sind. Auf der Platte geht es um eine bestimmte Psychologie hinter der Trennung, nicht um unsere Geschichte als solche. Da findet keine faktische Aufarbeitung statt. Worum es mir geht - es ist ja nicht wahnsinnig speziell, was mit uns geschehen ist. Es passiert vielen, vielleicht erkennen sich auch viele Menschen deshalb in dieser Musik wieder. Es ist eine Realität, auch für Familien mit Kindern, dass man sich an einem gewissen Punkt entscheidet, auseinanderzugehen und dass dies besser für alle ist. Deshalb geht es auf dieser Platte auch weniger um unsere spezifische Geschichte als um Trennung und stärker noch Neuanfänge im Allgemeinen. Man kann einen Song wie "Blick nach vorn" auch anhören, wenn man im Job Probleme hat.
Wie und wo leben Sie jetzt?
Herre: Ich bin nach wie vor in Berlin. Dort lebe ich alleine, mal mit den Kindern, mal ohne. Joy und ich teilen uns das auf.
Max Herre auf Deutschland-Tournee
03.11., Ulm, Theatro Club
06.11., München, Muffathalle
07.11., Leipzig, Spiegelpalast
10.11., Osnabrück, Rosenhof
11.11., Hamburg, Grünspan
15.11., Dortmund, FZW
16.11., Frankfurt, Künstlerhaus Mousonturm
17.11., Stuttgart, Mozartsaal
22.11., Berlin, Babylon
24.11., Oldenburg, Kulturetage
25.11., Erfurt, Stadtgarten
29.11., Köln, Gloria-Theater ~ Eric Leimann (teleschau)
Interviews, Stories, Meldungen und CD-Kritiken zu Max Herre
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