Luft zwischen den Beats
Die TripHop Pioniere Morcheeba musizieren wieder mit Ur-Sängerin Skye Edwards
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Luft zwischen den Beats
Die TripHop Pioniere Morcheeba musizieren wieder mit Ur-Sängerin Skye Edwards
21.06.2010 Anfang bis Mitte der Neunziger entstand in England Musik, die auf den merkwürdigen Namen TripHop hörte. Schnell wurde sie zum Megatrend hipper Großstädter und tiefenentspannter Studenten: der Sound langsamer, dunkler HipHop-Beats, die von melodisch-weiblichen Stimmen umgarnt wurden. Bands wie Massive Attack, Portishead und Morcheeba hießen die Protagonisten. Ihr Stil veränderte die Musiklandschaft. Heute gehören die Ideen von TripHop zum Standard-Arsenal des Pop. Und Morcheeba? Sie haben nach sechs Jahren Pause wieder ein Album mit Skye Edwards aufgenommen, ihrer Sängerin aus den alten Tagen. "Blood Like Lemonade" ist ein luftig elegantes Sommeralbum - das jedoch von Mord und Totschlag erzählt.
Zwei Menschen Mitte dreißig lümmeln sich in den Sesseln eines Hamburger Nobelhotels. Ross Godfrey, ein kahl geschorener Mann mit Hornbrille, sitzt neben Skye Edwards, Sängerin und Mutter dreier Kinder. In den letzten Jahren führte sie in einem Londoner Vorort ein eher bürgerliches Leben. Edwards war die magische Stimme von Morcheeba, die von den Brüdern Godfrey 2004 aus dem erfolgreichen Projekt ausgebootet wurde. Damals habe man viele Fehler gemacht, mittlerweile sei man erwachsen geworden - wird es später im Interview heißen. Die üblichen Beteuerungen wiedervereinigter Pop-Arbeiter. Doch eigentlich geht es ja um die Musik, das Album "Blood Like Lemonade". Wer es hört, spürt sie wieder - die Luft zwischen den Beats.
Schon zu Beginn der Trip-Hop-Welle rangierten Morcheeba am poppigen Ende der Genre-Skala, auch weil ihre Sängerin so schön klar und melodisch klang. Auf ihr Geheimnis angesprochen, verblüfft Skye Edwards mit einer eher ungewöhnlichen Antwort. "Ich bin eine eher faule Sängerin, ich möchte mich beim Singen nicht quälen. Eigentlich kann ich sowohl sehr hoch als auch sehr tief singen, trotzdem bewege ich mich am liebsten in der Mitte und in den moderat tieferen Lagen." Als Lieblingssänger nennt die Stimme Morcheebas Shirley Bassey, Frank Sinatra und den englischen Psychedelic-Folker John Martin, "eine faule, fast betrunkene Stimme".
Und diese steht für die Brüder Godfrey uneingeschränkt im Mittelpunkt: "Uns war es immer wichtig, dass Musik luftig klingt, dass man den Raum in ihr spürt. Eine Stimme wie die von Skye klingt großartig, wenn man jedes Detail von ihr gut hören kann. Ihren Nachhall - das ganze Universum, das man um eine Stimme herum entdecken kann." In der Tat findet man heute selten Popmusik, die mehr Raum für Stimme und Fantasie lässt.
Auch klar allerdings: Die beiden Briten waren niemals die großen Experimentatoren des Pop. Das ist auch auf dem neuen Werk "Blood Like Lemonade" nicht anders. Zwei Instrumentals enthält es, auf denen Reste von Trip und Hop zu finden sind. Dem stehen acht glasklare Popstücke gegenüber. Man kann sie als elegant produzierte Ohrwürmer für einen faulen Sommer loben oder das Ganze als gepflegte Langeweile abtun.
Das Selbstverständnis von Ross Godfrey ist ohnehin ein anderes: Er sieht sich als Songwriter, verstand sich nie als Teil einer Szene. Das Phänomen TripHop vermag er trotzdem zu erklären. "Der Ausdruck TripHop ist ziemlich grob. Er kommt vom HipHop, ein ziemlich diebisches Genre, in dem sich Nichtmusiker Beats und Loops von guten Platten gestohlen haben. Pädagogisch eine feine Sache. Hätte es HipHop nicht gegeben, eine ganze Generation würde einen Haufen tolle Musik nicht kennen: The Meters zum Beispiel und diese ganzen großen Drumbreaks aus dem Funk. Der Effekt in England war der, dass die Leute auch HipHop machen wollten, aber das Rappen mit englischem Akzent klang wirklich schlimm. Also schrieben wir Songs, die über den HipHop-Beats lagen."
So entstanden ab Beginn der Neunziger Bands wie Massive Attack, Portishead und Morcheeba. Heute lebt die Urformation von Morcheeba über den Erdball verstreut. Skye Edwards immer noch in der Gegend von London, Ross Godfrey in Los Angeles, DJ-Bruder Paul, ebenfalls mit Familie, auf dem Land in Südfrankreich. Die Ruhe und Entspanntheit, die ihren Sound auszeichnet, suchen Morcheeba offenbar auch im Privaten. Ihr neues Album entstand hauptsächlich über das Internet, gemixt wurde in Pauls Haus zwischen Bordeaux und Toulouse. Abseitiges, Psychedelisches - etwas, für das Trip-Hop auch einmal stand, findet man bei Morcheeba vor allem noch in den Texten wieder. Geschichten von Mord, blutigen Autounfällen und anderen gewalttätigen Ereignissen. "Blut wie Limonade" heißt das Album. "Er trank Blut als wäre es Limonade", heißt es im gleichnamigen Song dazu. Wie viel Psychedelia steckt im Popprojekt Morcheeba?
"Das Psychedelische kommt aus den Resten der Clubkultur", erinnert sich Godfrey an die Anfänge der Band. "In England hat man Public Enemy gehört und dazu Acid eingeworfen. Eine ziemlich seltsame Kombination. Amerikanischer HipHop wurde mit britischem Psychedelic und einer verdrogten Atmosphäre gemixt. Weil uns Rave und House zu langweilig waren, wanderte unser Hauptinteresse zu den After-Hour Parties. Da passierten die interessanten Sachen, nicht im Club. Dort konnte man ohnehin nicht miteinander reden- es war zu laut. Für uns war immer wichtig, was nach dem Club passierte. Wir gingen nicht einmal mehr hin, aber wir blieben lange auf und hörten sanfte Musik."
Was Musiker wie die Brüder Godfrey und ihre Sängerin Skye Edwards in diesen Morgenstunden zu Beginn der Neunziger erfanden, gehört heute zur Grundausstattung des Pop: die Verschmelzung von Club und Songwriting, von HipHop und Psychedelia, von Langsamkeit und Charts. Auf Morcheebas Spätwerk "Blood Like Lemonade" ist ein eleganter Nachhall dieser Zeit zu vernehmen. ~ Eric Leimann (teleschau)
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