"Ich bin eine Nonne auf Reisen!"
Nina Hagen beschwört mit Gospels und Spirituals ihren "Personal Jesus"
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"Ich bin eine Nonne auf Reisen!"
Nina Hagen beschwört mit Gospels und Spirituals ihren "Personal Jesus"
20.07.2010 Während viele Journalisten Nina Hagen immer noch gerne als "Urmutter des Punk" bezeichnen, ist die 55-Jährige auf ihrer (musikalischen) Sinnsuche längst weiter gezogen: Sie nahm zuletzt ein Album mit 30er-Jahre-Schlagern auf, spielte mit den indischen Musikern von "Om Namah Shivay" bei Yoga-Festivals, veröffentlichte mit einer Bigband, der "Nina Hagen Bigband Explosion", eine Jazz-CD. Und nun singt Nina Hagen Gospel-Songs und Spirituals: "Personal Jesus" ist ein spartanisches und akustisches Album geworden, eine "Form der Huldigung" an Gott, wie sie im Interview erklärt.
Man weiß seit Ihrer Autobiografie "Bekenntnisse", dass Sie zum christlichen Glauben gefunden haben und frisch getauft sind. Ist "Personal Jesus" eine Form des Gottesdienstes oder war das Album eher ein musikalischer Wunsch?
Nina Hagen: Beides. Ich bin halb säkular und halb christlich, das heißt, ich schaue immer mit dem einen Auge in den Himmel und mit dem anderen auf die Erde. Und Gospelsongs stehen einfach schon sehr lange auf meiner Wunschliste. Ich hörte schon früher, als es in der DDR noch wenig "West"-Scheiben gab, die Gospel-Interpretationen von Elvis rauf und runter. Sogar während meiner Zeit im Ashram (indisches Kloster, Anm. der Red.) sang ich dauernd Gospels vor mich hin. Gospel und Spirituals sind die Urmütter jeder Musik! Aber natürlich ist auch Gott der Grund, warum ich das mache. Gospel zu singen, ist auch eine Form der Huldigung. Aber inzwischen singe ich eigentlich alles für ihn da (zeigt nach oben).
Wie hat die Musikindustrie auf diese Idee reagiert?
Hagen: Gar nicht! Ich hatte gar keine Plattenfirma dafür und alles selbst angedacht. Irgendwann habe mir das Album dann einfach zum Geburtstag geschenkt! Ich habe es selbst finanziert, selbst produziert und exakt zu meinem 55. Geburtstag ist es dann endlich fertig gewesen. Die Plattenfirma hat sich erst entschieden, als die Musik fix und fertig war. So geht es mir aber schon seit ein paar Jahren, ich gehe immer in Vorleistung.
Vermutlich, weil man bei Ihnen nie so genau weiß, was als Nächstes kommt. Realisieren Sie noch diese ganzen anderen Projekte wie etwa mit den indischen Musikern?
Hagen: Nein, diese Mantra-Gesänge betreibe ich nicht mehr. Meine ganze hinduistisch angelehnte Phase, wo ich meinem Guru zuhörte, empfinde ich heute als Fehlgriff. Die Idee war gut, auch das Ashram erstrahlte voller christlicher Ideen, Nächstenliebe, Friede, Teilen. Aber die Ausführung stimmte nicht, irgendwie ging es dort dann doch sehr ungerecht zu.
Inwiefern ungerecht?
Hagen: Naja, für "Vergünstigungen" musste man dem Guru in den Hintern kriechen und nach kürzester Zeit hatte ich eben nicht mehr den Eindruck, dass ich an einem religiös inspirierten Ort bin. Auch bei dem musikalischen Projekt "Om Namah Shivay" wurde mir erzählt, dass man mit mithilfe der Mantren zu Gott betet. Aber als unser Guru ständig meinte, dass man das Mantra superkorrekt aussprechen müsste, weil es Gott sonst nicht hört, fand ich das schon komisch. Mir ist auch aufgefallen, dass die westlichen Leute dort jeden Schwachsinn hätten singen können, sie haben es eh nicht verstanden. Heute lehne ich dieses Gurutum ab. Ich bin gegen diese Selbstdarsteller, die von Schöpfung sprechen, aber in Wirklichkeit alles dazu tun, die Schöpfung zu zerstören und nicht zu bewahren. Ich habe aber schnell in der hinduistischen Religion schnell erkannt, was auch dort ungerecht und verlogen ist.
Wieso brauchen Sie dann jetzt wieder einen Priester? Können Sie nicht ohne Religion spirituell sein?
Hagen: Seit meinem Nahtod-Erlebnis mit 19 bin ich eigentlich schon ganz und gar Christin. Ich war außerhalb meines Körpers, im Himmel und in der Hölle. Hätte ich dieses Erlebnis nicht gehabt, wäre ich nicht die Musikerin geworden, die ich jetzt bin. Ich denke, dass ich meine Religion schon damals gefunden hatte. Es war in der DDR aber völlig unmöglich, Christin zu sein, es gab keinen Religionsunterricht, stattdessen Marxismus. Wäre es damals für mich möglich gewesen, christlich zu leben, dann hätte ich es bestimmt getan. Was mich auch beeinflusst hat, waren die Montagsdemonstrationen. Wo sind die Menschen da hin? In die evangelischen Kirchen, dort durften sie ihre Meinung sagen und ihre Lieder singen!
Eine große Tageszeitung sprach von Ihrer Rückkehr zu Ihrer verdrängten Frömmigkeit ...
Hagen: Ich finde, es ist keine Rückkehr, es war ja immer da. Ich habe in den frühen 80er-Jahren schon das Vater Unser vertont, auf Englisch und auf Deutsch, ich habe auch damals schon Gospel gesungen, weil mich diese tiefe Gläubigkeit dieser Menschen so mitgerissen hat.
Aber jetzt ist es für Sie ein Medienthema ...
Hagen: Ich war immer Christin, tief in meinem Herzen. Aber Religion ist etwas anderes. Ich dachte, dass die ganzen christlichen Religionen derart vom Bösen unterwandert sind, dass es das Christentum an sich, den christlichen Gedanken nicht mehr geben kann. Aber ich habe erst vor ein paar Jahren so tolle Christen kennen gelernt, die mir gezeigt haben, dass man noch wirklich in diesem Glauben leben kann. Sie haben nicht nur gepredigt und hinter verschlossenen Türen ganz andere Dinge getan, sondern so gelebt, wie es die christliche Idee vorgibt.
Spielen Sie auf die Missbrauchsfälle an?
Hagen: Ja, genau! Auch die Hexenverbrennung. Ich bin in einer evangelischen Kirche. Einer evangelisch-reformierten Kirche. Das ist eine Synode der evangelischen Kirche, die basisdemokratisch aufgebaut ist. Wir wählen unseren Pastor demokratisch, und es gibt auch keinen Bischof oder keinen Chef, keine Chefin. Unser Chef ist Jesus. Es gibt so viele Faschisten in den Religionen. Zum Beispiel George Bush: Er hat ja allen Ernstes seine Kriege angezettelt und behauptet, Gott hätte ihm eingeflüstert, wann er wo einmarschieren soll!
Ihr Album hat eine wunderbar klare und schlichte Tonsprache, Sie spielen mit Americana, Cajun, Gospel, Spiritual, Blues, Soul und Country. Ist das ein Dank an die USA, die Sie als Musikerin viel mehr respektieren, als die Deutschen es tun?
Hagen: (wird verlegen) Danke! Gospel, diese Musik, kommt natürlich aus den USA, das ist einfach so. Meine Musiker sind auch Amerikaner, denn ich lebe ja zum Teil in L.A. und spiele schon Jahrzehnte mit ihnen zusammen. Und die Scheibe sollte ursprünglich klingen und schlicht. Das hört man eben. Die Menschen, die die Gospelmusik erfunden haben, denn Gospel kommt ja aus den Negro-Spirituals, das waren die schwarzen Sklaven. Und diese Sklaven predigten in ihren Kirchenhäusern die Botschaft vom Evangelium, durch ihre Musik, mit ihrer Musik. Diese Musik ist die Urmutter, der Urvater aller Musik, die danach kam. Blues, Jazz, Swing, Rock, Roll, Funk, Soul, später auch Punk. Alles kommt aus dieser ursprünglichen Musik. Ich habe mich also auf die Reise zu den Ursprüngen gemacht.
Wie geht diese Reise eigentlich mit Ihrem zwischenzeitlichen Juror-Dasein bei "Popstars" zusammen? Fanden Sie die Sendung nicht menschenverachtend?
Hagen: Doch! Deshalb bin ich da ja überhaupt reingegangen. Ich wollte diesen zynischen, menschenverachtenden Sado-Maso-Ton aufbrechen und alles mit Liebe und Unterstützung schaffen. Wir hatten die höchsten Einschaltquoten überhaupt! Ich wollte das neue Testament für Popstars schreiben, sozusagen, mit Liebe arbeiten, von innen, mit Herz! Die jungen Leute muss man respektvoll behandeln und nicht von oben herab nur wegen der Quote! Und schau! Die Band, die wir gecastet hatten, Monrose, haben so viel Stärke und Liebe von uns mitbekommen, dass sie heute noch extrem erfolgreich sind. Hast du das neue Album gehört? Das ist super! Das wird ein Riesenhit!
Wie leben Sie jetzt privat?
Hagen: Mein Sohn Otis ist nun ausgezogen, er wird im August 20 und lebt mit seiner Verlobten zusammen. Ich sage euch aber nicht, wo! (lacht) Denn als er auf die Welt kam, habe ich mir geschworen, dass ich ihn immer beschützen werde! Ich bin Single, auch wenn ich mit River (ihr ehemaliger Lebensgefährte, Anm. d. Red.) noch gut befreundet bin. Aber Beziehung, Verlobung, Ehe hab ich derzeit keine. Keinen Mann, keine Frau (verstellt lustig ihre Stimme), ich hab noch nicht einmal einen Hund. Keine Katze. Ich hatte mal Vögel, aber die sind weggeflogen. Ich bin eine Nonne auf Reisen! Und jetzt geh' ich eine rauchen ...
Seit wann rauchen Sie denn? Sie leben doch so gesund, vegetarisch, sind zierlich und schlank ...
Hagen: Ja, das ist mein wirklich allerletztes Laster! Ich rauche schon immer, seit ich zwölf bin. Heinrich Böll musste früher mir immer die Rothändle mitbringen. Außerdem bin ich nicht ganz Vegetarier, sondern Vegequarier. Ich esse noch Fisch! ~ Kati Hofacker (teleschau)
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