"Pop ist für mich ein Schimpfwort"
Patrice will mit seinem Album "One" hoch hinaus - und gegen den Strom schwimmen
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"Pop ist für mich ein Schimpfwort"
Patrice will mit seinem Album "One" hoch hinaus - und gegen den Strom schwimmen
15.09.2010 Etwas ungeduldig versenkt Patrice einen Teebeutel in seiner Tasse, ertränkt ihn mit Honig, lässt den Löffel klimpernd kreisen. Mit einem spitzbübischen Grinsen, das er in Musikvideos so selten zeigt. Auch in dem zur aktuellen Single "Walking Alone" sucht man es vergebens. Er wirkt viel jünger, als er ist. Nicht ansatzweise wie über 30, keinesfalls wie ein frischgebackener zweifacher Papa. Ganz im Gegenteil. Doch hinter der jugendlichen Jovialität steckt einer der erfolgreichsten deutschen Solokünstler: zehn Jahre im Geschäft, etliche Chartplatzierungen inklusive. Wenn Patrice über seine jüngste Platte redet, seine sechste, wird er philosophisch: "'One' ist die Einheit aller Stile, aller Kulturen, dessen, was war und was sein wird." Ein Glück, dass er sich im restlichen Interview weniger kryptisch gibt.
"Ich kann entweder mir treu bleiben oder dem Image, das die Fans von mir haben", sagt Patrice, der mit seinem neuen Album einige der Anhänger von früher vor den Kopf stoßen dürfte. Seit seinem Debüt "Ancient Spirit" (2000) manövrierte sich der afrikanischstämmige Kölner mit dem täuschend echten jamaikanischen Patois-Slang, erst vorsichtig, dann rascher, vom Reggae hin zum Pop. So weit zumindest die Schubladen-Etikettierung.
Patrice, der sein außerordentliches Selbstbewusstsein mit unsteter Mimik zu kaschieren scheint, gibt herzlich wenig auf die gängigen Genregrenzen, derartige Klischees finde er absolut unnötig. "Pop als Genre ist für mich ein Schimpfwort: Musik, die vorsätzlich populär sein will", erklärt er. "Ich persönlich mag nur Songs, die eine Botschaft haben." Reggae stecke für ihn nicht im One-Drop-Rhythmus, nicht in der Offbeat-Phrasierung, Reggae sei der "Spirit", findet der 31-Jährige. Und den könne man genauso gut im Rock oder Pop oder sonst wo hören, aber nicht aus Notenblättern lernen.
Wenn Patrice Bart-Williams über Musik redet, ist er kaum zu stoppen. Sonst baut er seine Sätze zögerlich, bleibt vage und zurückhaltend, obwohl immer etwas zu hibbelig für sein Alter. Bei seiner Expertise, seiner Leidenschaft hingegen gerät er ins Schwärmen, unterbricht sich selbst mit neuen Einfällen, zitiert Songtitel auf dem Effeff, zieht Parallelen zwischen den beiden großen Bobs: Dylan und Marley. Bei Letzterem kommt der Fan in ihm durch. Mit leuchtenden Augen wie mit denen eines Teenagers, der auf seinem ersten Konzert ganz vorne steht, bewundert er: "Bob Marley war kein Reggae-Musterschüler, er tat das, was in Jamaika verschrien war - mit weißen Musikern zusammenarbeiten, in England aufnehmen. Mich fasziniert, wie er sich der Welt öffnete, um etwas Neues zu schaffen."
Das will auch Patrice: Gegen den Mainstream schwimmen, mit Musik, die trotzdem ankommt, "einem künstlerischen Anspruch gerecht werden", wie er sagt. Und trotz Majorlabel im Rücken beteuert er, bei der Produktion der Platte freie Hand gehabt zu haben. Konkreter wird er selten, eingeengt jedenfalls fühle er sich nicht. Zwischen ein paar einstudierten PR-Floskeln ("'One' ist das Jetzt - alles, was ich gemacht habe, führt hier her, zu diesem Moment.") verrät Patrice jedoch tatsächlich langfristige Karrierepläne: "Vielleicht wird 'One' das erste Album einer finalen Trilogie." In näherer Zukunft nur noch als Produzent zu agieren, sei für ihn durchaus eine Option.
Der einzige Haken an der Sache: Wer hinter dem Mischpult steht, muss bei den Labels Klinken putzen und sein Zahnpastalächeln üben. Doch "wenn ich das Gefühl habe, in die Ecke gedrängt zu werden, neige ich zu übertriebenen Befreiungsschlägen", erklärt Patrice. Unabhängigkeit sei seine Grundhaltung, er wolle sich vom Rest unterscheiden, das machen, was in seinen Augen relevant ist. Und seine Ansprüche an das Wort "relevant" seien "sehr hoch", daran lässt er keinen Zweifel. Im Tiefstapeln jedenfalls wäre der ehemalige Elite-Internatsschüler von Schloss Salem hoffnungslos durchgefallen: "Ich möchte Musik produzieren, die zeitlos ist, meinen Fußabdruck auf dem Pfad der Musikgeschichte hinterlassen", sagt Patrice überzeugt.
Seinen zwei Kids (ein vier Jahre alter Junge und eine frischgeborene Tochter) will er den eigenen Ehrgeiz jedoch auf keinen Fall oktroyieren. Patrice, der seit geraumer Zeit mit der Soulsängerin Ayo liiert ist, findet: "Der Kleine soll das machen, worauf er Bock hat. Sicher, ihm wurden viele Dinge in die Wiege gelegt, aber ich würde es willkommen heißen, wenn er sich einen anderen Beruf aussucht." Am meisten wünscht sich der Sänger, später selbst im Schatten seiner Kinder zu stehen - vielleicht auch in der ersten Reihe auf deren Konzerten.
Patrice auf Deutschland-Tournee
07.10., Wiesbaden, Schlachthof
09.10., München, Muffathalle
13.10., Berlin, Postbahnhof
14.10., Hamburg, Docks
15.10., Bremen, Schlachthof
16.10., Bielefeld, Ringlokschuppen
18.10., Stuttgart, LKA Longhorn
22.10., Köln, E-Werk
22.11., Dortmund, FZW
23.11., Nürnberg, Löwensaal
24.11., Dresden, Alter Schlachthof
25.11., Mannheim, Alte Feuerwache ~ Gregor Jossé (teleschau)
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