"Mein Handwerk, meine Kunst, mein Job"
Paul Weller über politische Musik, Mode und seine Missachtung für das britische Könighaus
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"Mein Handwerk, meine Kunst, mein Job"
Paul Weller über politische Musik, Mode und seine Missachtung für das britische Könighaus
03.06.2010 Kurz vor seinem Auftritt setzt sich der 51-jährige Paul Weller noch schnell auf die Couch, um ein paar Fragen zu beantworten. Und über sein wütend-aggressives aktuelles Album "Wake Up The Nation" gibt es viel zu reden. Frisch aussehend, mit der bekannten schnittigen Frisur, adrett gekleidet, zieht er mit einer ebenso schnellen wie leidenschaftlichen Sprache über das britische Königshaus, die Regierung und die britische Musiklandschaft her. Weller macht deutlich: Auch nach 35 Jahren im Geschäft, zunächst als Frontmann von The Jam über The Style Council bis hin zu seiner Solokarriere, treibt ihn immer noch große Leidenschaft an.
Ist es für Sie angenehmer, der "Modfather" zu sein, als irgendwann von der Königin geadelt zu werden, worauf Sie sich dann Sir Paul Weller nennen dürften?
Paul Weller: Es interessiert mich nicht so sehr, wie man mich nennt, solange es nett gemeint ist. Ist ja auch mehr ein Kosename, dieses "Modfather", also ist das in Ordnung. Mir wurde übrigens vor zwei Jahren tatsächlich irgendsoein Orden angeboten, ein OBE (Order of the British Empire, d. Red.) oder CBE (Commander of the Order of the British Empire, d. Red.) oder so ein Mist. Den habe ich abgelehnt. Ich kann das Königshaus nicht ausstehen. Ich will einfach nichts mit denen zu tun haben.
Was ist die Ursache dafür, dass "Wake Up The Nation" altmodisch und aggressiv zu gleich klingt - Wut oder Leidenschaft?
Weller: Ich finde gar nicht, dass sie altmodisch klingt. Die Platte hat natürlich Verknüpfungen mit der Vergangenheit, wie alles, was ich an Musik mache. Aber ich halte sie für sehr zeitgemäß. Ich finde die Platte sogar ziemlich modern. Aber natürlich entsteht so etwas aus Leidenschaft. Ich und mein Produzent, Simon Dine, waren einfach total genervt von der Musik, die um uns herum gespielt wurde, und wir wollten eine Platte machen mit Musik, die wir selber gerne hören. Die Musik in England geht immer noch auf Nummer sicher. Keine Ahnung, wie das in Deutschland ist. Aber bei uns klingt wirklich alles wie ein blasser Abklatsch, diktiert von Unternehmensbossen. Wir wollten genau das Gegenteil davon - etwas, das die Leute erfasst und sie wieder aufhorchen lässt.
Sind die Songs deswegen recht kurz und nicht zu verschachtelt, damit die Leute aufhorchen?
Weller: Nein, das hat wohl mehr damit zu tun, dass uns nach drei Minuten jedes Mal die Ideen ausgegangen sind (lacht). Als ich ein Kind war, waren alle Songs um die dreieinhalb Minuten lang, kurz und schnittig! So sollte auch unsere Platte klingen, sie sollte metallisch und hart klingen. Und das ist uns, glaube ich, gelungen.
Sind Sie traurig darüber, dass die Labour-Regierung nun weg ist und der konservative David Cameron neuer Premierminister ist?
Weller: Es ist schade, dass jetzt die Konservativen an der Macht sind, denn ich hasse sie. Aber ich glaube, das macht ohnehin keinen großen Unterschied für das Volk. Denn es sind ja immer noch die gleichen Leute an der Macht. Die Typen sind alle auf das gleiche Gymnasium gegangen, zur gleichen Universität, sie kommen alle aus der Mittelschicht, das ist alles vergleichbar. Der Wechsel wird für uns wohl kaum Auswirkungen haben.
Es macht also keinen großen Unterschied, ob nun Labour oder die Konservativen an der Macht sind?
Weller: Nicht wirklich, nein. Wenn man zurückgeht, in die 80er-Jahre, dann ist das natürlich eine andere Geschichte, die Zeit von Maggie Thatcher und Ronald Reagan mit diesen ganzen extremen Positionen. Aber im derzeitigen politischen Klima macht das wirklich keinen Unterschied, glaube ich, weil alle Beteiligten austauschbar und farblos geworden sind.
Halten Sie es heute noch für wichtig, als Musiker junge Leute für Politik zu sensibilisieren?
Weller: Wo sollen sie sich politisch hinbewegen? Das ist ja die große Frage! Für mich sind Politiker heutzutage alle Lügner und karrieregeile Betrüger. Ich kann die Leute vielleicht für das politische Geschehen sensibilisieren, aber wo soll das hinführen, wenn man den Politikern nicht trauen kann? Da ist es viel wichtiger, seine eigene Philosophie zu entwickeln, einen Kodex für das eigene Leben zu finden.
Muss man also als Musiker politisch sein, weil die Politiker die Leute nicht mehr erreichen?
Weller: Nein, ich glaube nicht, dass man das machen muss. Aber es ist okay, wenn man sich mit Politik auseinandersetzt. Seit Jahrhunderten hat die Musik auch immer die Leute informiert. Natürlich ist es Unterhaltung, aber es dient auch dazu, die Leute aufzuklären. Wenn du dir alte Folk-Musik anhörst, da geht es immer darum, was gerade zu der Zeit passierte und diese Geschichten machten die Runde, gingen von Dorf zu Dorf und von Stadt zu Stadt. Popmusik ist die moderne Volksmusik.
Wie entdecken Sie heutzutage Musik? Kaufen Sie noch Schallplatten im Plattenladen wie früher?
Weller: Jede Woche! Ich ziehe immer los, um mir eine bestimmte Platte zu kaufen und komme dann mit zehn Stück aus dem Laden. Es erscheinen immer wieder interessante neue Sachen, und je älter ich werde, desto aufgeschlossener gehe ich da ran. Deswegen höre ich mir wirklich ausnahmslos alles an, nur um es zu kennen und zu gucken, ob ich vielleicht noch etwas lernen kann.
Sind das dann CDs oder Vinyl?
Weller: Größtenteils CDs, denn es ist ja schwer geworden Schallplatten zu finden, heutzutage. Wenn es aber ein altes Album ist, hinter dem ich her bin, versuche ich es immer auf Vinyl zu kriegen. Bei neueren Sachen sind es meist CDs. Denn obwohl ich zehn Platten pro Woche kaufe, landen etwa sechs davon im Mülleimer, weil sie großer Mist sind. Aber man muss sich die Sachen schon kaufen, denn das Radio in England ist einfach nur Angst einflößend. Deswegen musst du eben eine Menge kaufen, um an die wirklich guten, bahnbrechenden Sachen heranzukommen. Aber das Internet wird alles wieder verändern und den Leuten wieder Zugang zu spannender Musik verschaffen.
Was ist der Grund für diese Entwicklung?
Weller: Es liegt einfach an den Leuten, die in der Musikindustrie Entscheidungen treffen. Die Leute, die bei den Radiosendern die Musik auswählen, sind oftmals in meinem Alter, die haben einfach das Interesse an Musik verloren. Für die muss es als Hintergrundgeräusch funktionieren, darf nicht zu anstößig oder zu sperrig sein, das sind ja die Ausdrücke, die sie dann immer benutzen. Sie untergraben damit die Zuhörer und entwerten die Musik, stumpfen die Meinung und den Geschmack der Zuhörer ab. Ich bin eben bloß nie erwachsen geworden, ich halte Musik immer noch für etwas Magisches.
Und wie sieht es mit der Begeisterung für Mode aus? Sie haben Poloshirts für Fred Perry entworfen ...
Weller: Ich habe mich immer schon besonders für Kleidung interessiert, und ich gehe tatsächlich gerne einkaufen. Am liebsten würde ich eine ganze Bekleidungslinie machen, aber ich habe keine Ahnung wie ich das angehen sollte. Liam Gallagher hat das schon gemacht, der hat da sein eigenes Ding. Ich habe große Lust darauf, aber ich muss erst einen gnädigen Hersteller finden, der mich unterstützt. Die Poloshirts waren jedenfalls schnell ausverkauft, erfolgreich war ich also schon (lacht).
Woher kommt diese Faszination für Mode und Stil?
Weller: Im England der 60er- und 70er-Jahre gehörte das untrennbar mit der Musik zusammen. Wenn du eine Band mochtest, musstest du dich auch für ihre Klamotten interessieren, für ihre Frisuren, ihre Einstellung. Man las Interviews mit denen, mochte, was sie sagten und was sie für Einflüsse preisgaben. In den letzten Jahren ist diese Verknüpfung allerdings ein wenig verloren gegangen, sie hat einfach nicht mehr den Wert, den sie damals hatte.
Haben Sie in über 30 Jahren Karriere eigentlich jemals daran gedacht, mit der Musik aufzuhören, weil Sie diesbezüglich alles schon erlebt und gesehen haben?
Weller: Nein, gar nicht, ich erlebe ja immer noch schöne Dinge. Und solange ich durch Konzerte noch diese Energie bekomme und mir das Ganze noch so viel bedeutet, werde ich damit weitermachen. Es wäre nun auch reichlich spät, damit aufzuhören und mir einen anderen Job zu suchen. Ich stecke jede Menge Energie hinein, um alles am Laufen zu halten. Es ist mein Handwerk, könnte man sagen. Mein Handwerk, meine Kunst, mein Job.
Abschließend müssen wir noch kurz über Fußball sprechen ...
Weller: ... Oh, ein Thema, von dem ich überhaupt keine Ahnung habe!
Wirklich? Man könnte nämlich den Eindruck bekommen, dass Sie Ihre Tour um die WM-Spieltermine der englischen Mannschaft herumgelegt haben ...
Weller: Nein, die WM beschäftigt mich nicht so wirklich, England fliegt ja ohnehin in der Vorrunde raus (lacht). Das ist doch immer so, oder nicht? Aber ich habe mich sehr gefreut, dass der FC Chelsea das Double gemacht hat, sie haben das FA-Cup-Finale und die League gewonnen. Wir sind alle Chelsea-Fans in der Band, das war also sehr schön für uns. Ich meine, ich mag die Weltmeisterschaft natürlich schon, aber es gibt immer so viel Unterstützung und Begeisterung für unser Team und dann setzten sie es jedes Mal in den Sand. Vielleicht wird es aber dieses Mal anders sein. ~ Klaas Tigchelaar (teleschau)
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