Polarkreis 18

Jonglierende Astronauten


Opernhafter Bombast: Das neue Album der Dresdener Band Polarkreis 18 will erklärt sein

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Jonglierende Astronauten

Opernhafter Bombast: Das neue Album der Dresdener Band Polarkreis 18 will erklärt sein

03.12.2010 Am Tag vor dem Interview erhielt die Dresdener Band Polarkreis 18 Gold für ihr letztes Album "The Colour Of Snow" und Platin für die Single "Allein Allein". Sie traten in Astronautenanzügen auf, die Sänger Felix Räuber und Multiinstrumentalist Ludwig Bauer auch zum Interview tragen. Ihr Thema: Franz Schuberts melancholische Winterreise, in einen Popkontext übersetzt. Dennoch nicht unbedingt ein Konzeptalbum. Es ist faszinierend, wie Felix Räuber, der Peter Pan wie aus dem Gesicht geschnitten ist, das Werk seiner Band transparent macht. Die sechs Künstler zögern nicht, wenn es um große Gesten geht. Mit Hang zu Oper und Avantgardismus präsentieren sie ein opulentes drittes Album: "Frei" macht den Eindruck, als hatte es lediglich den Musikern zu gefallen.

Gestern Abend hattet Ihr Platin- und Goldverleihung und habt dabei einen ziemlich gelösten Eindruck gemacht. Dennoch sprachst Du, Felix, von der Überwindung, auf die Bühne zu gehen. Warum?

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Felix Räuber: Es ist eine Herausforderung, sich den Blicken zu stellen. Wir sind mit "Frei" erstmals aus unserem Fuchsbau geklettert, deshalb war eine gewisse Aufregung dabei.

Ludwig Bauer: Wir waren monatelang extrem abgeschottet in unserem stillen Kämmerchen, arbeiteten erstmals im eigenen Studio. Zum Schluss sieben Tage die Woche.

Wart Ihr dabei durchzudrehen?

Räuber: Das Problem in der Kunst ist das Loslassen, die Entscheidung zu sagen, dass ein Song jetzt fertig ist, und man aufhört, an ihm zu arbeiten. Das eigene Studio half uns zunächst, uns zu stabilisieren, zu erden. Wir wurden ja schon durch den Erfolg ziemlich rumgereicht. Jetzt haben wir ein kreatives Heim, das ist gut, da können wir basteln, feilen ... und schleifen (lacht).

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Bauer: Wir konnten jederzeit auf alle Instrumente zugreifen. Ich konnte auch nachts um zwölf nach meinem kreativen Moment suchen.

Ihr klingt erleichtert.

Räuber: Wir kamen durch den Erfolg in Situationen, auf die wir nicht vorbereitet waren, was Konflikte ergab. Der Proberaum, unser Kreativbiotop, hat geholfen, Struktur zu schaffen, ohne die Gefühle abzuschaffen. Gemäß unserer Bandsatzung ist er komplett weiß, neutral. Abgeschirmt von äußeren Einflüssen, trafen wir uns dort täglich, schickten die Egos in die Garderobe und arbeiteten.

Eure kurze Show gestern war nicht allein wegen der Raumfahreranzüge wie eine Vorführung aus einer fremden Welt.

Bauer: Astronauten suchen Zeit ihres Lebens nach Antworten, verlassen die Grenzen dieser Welt, fliegen weg, um auf die Erde drauf zu schauen und die Fragen, die sie haben, zu klären. Unser Album hat inhaltlich einen roten Faden: Es gibt einen Befreiungsschlag, am Anfang und zum Schluss scheitert ein Mensch, dazwischen streift er wichtige Stationen seines Lebens ...

Euer neues Album soll "eine moderne Winterreise" darstellen, das nimmt Bezug auf Franz Schuberts "Winterreise", ein schwermütiges Werk ...

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Räuber: Es gibt eine gewisse Ähnlichkeit. Ein Mann zieht in die Welt hinaus und sucht den Sinn seines Lebens. Unser Produzent Sven Helbig (Rammstein, Pet Shop Boys) hat während des Produktionsprozesses bemerkt, dass wir eine moderne Winterreise beschreiben. Das hat uns gut gefallen, und so haben wir uns darauf gestürzt, diese Geschichte zu erzählen, von einem Mann, der Verluste erleidet, eine unerfüllte Liebe trifft, sich befreit, und im Prozess des Sterbens sich von der Welt entfernt. Das ist eine Ebene des Albums.

Aber kein verpflichtendes Konzept.

Räuber: Genau. Das kann man hören, man muss aber keine drei Seiten durchlesen, um es zu verstehen. Es ist nicht notwendig, einzelne Songs zu übersetzen, sie bauen nicht aufeinander auf, denn wir wollen nach wie vor eine einfache Wirkung erzielen, obwohl wir mit komplexen Strukturen arbeiten.

Euer Überschwang und die musikalische Wucht sind pure Absicht?

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Räuber: Wir mögen die Ästhetik des Überbordenden. Dass wir jetzt den Pomp des Babelsberger Filmorchesters aufs Band brachten, dient dazu, das Kopfkino anzuschalten. Ich vergleiche das Album mit "Matrix": Ein spannender Actionfilm, aber ich kann ihn mir auch zu Hause 20-mal in Folge anschauen, weil ich ihn inhaltlich verstehen will.

Angst vor zu viel Opulenz scheint Ihr nicht zu kennen.

Räuber: Keine Angst vor Größe gehört zum natürlichen Bestreben der Band. Früher mussten wir mit einem Vier-Mann-Streichorchester klarkommen. Heute können wir mehr Möglichkeiten nutzen, zum Nachteil unserer Geldbörse, zum Vorteil unserer Kunst. Da wollen wir hin. Mit Mut zur Größe Musik im Popkontext erscheinen lassen. Aber wir müssen noch lernen, dass das nicht immer über dick auftragen läuft und herausfinden, wie man die Balance hält. Man kann das ja auch mit ganz kleinen Dingen erreichen und sich zurücknehmen.

Gab es Diskussionen um die Verkaufbarkeit?

Räuber: Das Album ist mit seinen vielen Stilelementen schwer einzuordnen, es ist bombastischer als die anderen. Speziell sind meine Countertenorgesänge. Der Schreibprozess ist gut verlaufen, wir haben uns als Gemeinschaft ergänzt - was wir nicht immer konnten, muss ich dazu sagen. Oftmals stand das Ego im Weg, doch diesmal haben wir uns beflügelt. Es entstanden 42 Songs, was das Album zu einem stark konzentrierten Parfum macht, das nur noch die Essenzen beinhaltet.

Hast Du Deine Stimme dafür ausgiebig trainiert?

Räuber: Nein, aber vor einem Jahr habe ich zum allerersten Mal erkannt, dass meine Stimme ein Riesenpotenzial birgt. Das war mir früher nicht bewusst. Ich kann hoch singen, aber habe mich in einem Kontext gesehen, in dem ich selber verwurzelt bin, also etwa bei Radiohead oder Sigur Rós. Jetzt habe ich meine Stimme neu entdeckt: Ich kann Opern singen! Da hat sich eine neue Welt eröffnet. Es ist eine spannende Erfahrung, etwas Neues an seinem Körper zu entdecken.

Philosophisch betrachtet, ist "Frei" die Fortführung von "Allein".

Räuber: Eine Weiterentwicklung von "Allein Allein" ist "Frei" nicht, aber ein Song mit einem starken Willen und eigener Identität, ein strahlendes, starkes Wort. Wir besprechen dieses Thema anders, als man erwartet. Ein Kind würde nicht bemerken, dass es im Song mehr um Zwänge geht als um Freiheit.

Gerade im Kontext mit Schubert wäre es ein logischer Schritt gewesen, sich ganz auf deutsche Texte zu konzentrieren. Warum habt Ihr Euren zweisprachigen Mix beibehalten?

Räuber: In der deutschen Sprache ist man sehr klar, dann erklärt man den Leuten ganz deutlich, was und wovon man singt. Aber dieser Nebel, die Verklärtheit, die sich aus dem Englischen ergibt, steht uns gut. Dadurch dass man nicht gleich versteht, wovon wir singen, ergibt sich daraus ein weiteres Instrument, ein Werkzeug. Wir jonglieren.

Polarkreis 18 auf Deutschland-Tournee

26.03.2011, Erfurt, Stadtgarten

27.03.2011, Leipzig, Werk2

29.03.2011, Erlangen, E-Werk

04.04.2011, Köln, Gloria

05.04.2011, München, Ampere

06.04.2011, Kaiserslautern, Kammgarn

09.04.2011, Frankfurt, HR3 Night

10.04.2011, Krefeld, Kufa

11.04.2011, Hamburg, Uebel und Gefährlich

13.04.2011, Bielefeld, Stereo

14.04.2011, Berlin, Huxleys

15.04.2011, Dresden, Alter Schlachthof ~ Claudia Nitsche (teleschau)


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