Drei Dekaden, große Gesten
Die Simple Minds feiern mit "Graffiti Soul" nicht nur ihr Comeback
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Drei Dekaden, große Gesten
Die Simple Minds feiern mit "Graffiti Soul" nicht nur ihr Comeback
29.05.2009 Simple-Minds-Fans hatten in den letzten Jahren wenig Grund zur Freude: Da war von fehlendem Enthusiasmus zu lesen, vom verlorenen Plattenvertrag und dem endgültigen Abschied der schottischen Kult-Rocker. Wenn eine Band jedoch einen unverwechselbaren Stil besitzt, einen Sänger mit Charisma und Texte mit wahren Werten, gelingt mitunter die Rückkehr ins Tagesgeschäft des Pop. Mit ihrem neuen Album "Graffiti Soul" erhielten die Glasgower einen neuen Major Deal und feiern ganz nebenbei ihr 30-jähriges Jubiläum. Sänger Jim Kerr gibt Auskunft.
Die Apartheid ist Geschichte, Nelson Mandela ist befreit, die Berliner Mauer ist gefallen und Amerika hat einen schwarzen Präsidenten. Hättest Du Dir das in den kühnsten Träumen ausgemalt, als Ihr 1979 das erste Album veröffentlicht habt?
Jim Kerr: Mit Sicherheit nicht. Ich erinnere mich daran, dass ich zum Zeitpunkt des Berliner Mauerfalls in Australien auf Tour war. Ich sprang in meinem Hotelzimmer auf und ab, weil es mich für die Menschen so freute. Auch als ich sah, wie Mandela ein freier Mann wurde und wie er da neben seiner Frau die Straße entlanglief, voller Stolz, da wurden meine Augen feucht. Das war ein bewegender Moment. Und jetzt zu sehen, dass die Vereinigten Staaten einen schwarzen Präsidenten haben, ist natürlich besonders für die schwarze Bevölkerung ein großer Erfolg, damit besonders ihre Probleme wahrgenommen werden, die bislang eher ignoriert wurden.
Springsteen gehörte zu den Künstlern der "Vote For Change"-Bewegung. Du bist nicht nur ein Fan seiner Musik, Ihr seid auch befreundet ...
Kerr: Ich erzähle Dir mein erstes Treffen mit Bruce: Als ich vor vielen Jahren in New York im Studio war, fragte mich Jimmy Iovine, der viele seiner Alben produziert hat, ob ich mal zehn Minuten Pause machen könne. Er tat sehr geheimnisvoll. Er bekam einen Anruf und wir fuhren mit einem Fahrstuhl runter zum Parklatz. Und da stand Springsteen, lehnte an seiner schwarzen Corvette und meinte: "Schön, dass ihr Zeit habt, ich hätte gern eure Meinung zu unserem Album, ich weiß nicht, ob der Mix cool ist." Wir kamen also mit ins Studio, und er spielte uns "Born To Run" vor. Ich bin fast vor Glück geplatzt. In diesen Tagen freundeten wir uns an.
Euer neues Album birgt eine Rückkehr zu den großen, dramatischen Sounds der 80er-Jahre und wirkt trotzdem nicht antiquiert. Wie schafft man das?
Kerr: Wir hatten uns einen Plan gemacht, der anfangs aussah, als sei er nicht zu realisieren. Wir wollten wie die klassischen Simple Minds klingen, nur mit heutigen Sounds. Das ist nicht nur ein Gegensatz, zudem impliziert das Ziel klassisch klingen zu wollen immer auch einen Anachronismus. Aber wir wollten die klassischen Qualitäten der Simple Minds hervorheben: unsere Energie, unseren Sound und Charlies fantastisches Gitarrenspiel.
Musikalischer Erfolg ist immer auch eine Sache des Timings. Ihr findet derzeit ein Klima vor, das dem Sound der 80er-Jahre milde gesonnen ist ...
Kerr: Ja, es gibt durchaus wieder einige Bands, die die Sounds der Achtziger zitieren und das sehr erfolgreich. Und die es auch schaffen, ihre Musik modern und relevant klingen zu lassen. Nimm Glasvegas oder die Killers zum Beispiel. Es gehört eben auch ein bisschen Glück dazu. Manchmal ist dein Timing eben einfach "out".
Geht's inhaltlich auch um Weltpolitik auf "Graffiti Soul"? Themen gäbe es ja genug.
Kerr: Es geht um nichts im direkten politischen Sinne, wenn Fans vielleicht an Alben wie "Street Fighting Years" denken und die damaligen Themen wie Menschenrechte, Rassismus, Atomkriegsgefahr oder den Nordirlandkonflikt. Diese Texte sind aus jenem Zeitgeist entstanden. Die Welt hat sich verändert. Es gibt heute zum Beispiel nicht mehr jene Polaritäten: Kommunismus und Kapitalismus, Russland und Amerika, Reagan und Gorbatschow. Aber es gibt genügend andere Themen, die jeder für sich selbst finden kann. Wenn du heute in einen Supermarkt gehst, kannst du ein politisches Statement damit abgeben, welchen Kaffee du kaufst. Auch was du für ein T-Shirt trägst, kann ein Statement sein. Oder dass du den Zug nimmst, anstatt zu fliegen.
Glaubst Du immer noch, Musik könne die Welt verändern?
Kerr: Musik alleine vermag das nicht. Aber ich erinnere mich an einen Satz von Nelson Mandela, als er nach seiner Freilassung eine Pressekonferenz einberaumte, zu der auch wir eingeladen waren. Ich fand das übrigens fast ein bisschen beschämend, weil einige Leute des ANC ihr Leben dafür geopfert hatten, um die Apartheid abzuschaffen. Wir dagegen hatten nur einen Song geschrieben. Mandela sagte damals: "In der Zeit, als keine Stimme in diesem Land erlaubt war, vernahmen wir zum Glück die Stimmen der Künstler von außen." Also: Kunst kann einen Effekt haben! Sie kann keine Systeme verändern, aber sie kann Menschen Mut machen und Selbstvertrauen geben aufzustehen. Sie kann zu neuen Gedanken anregen und eine Öffentlichkeit schaffen.
Bei den Simple Minds gab's eine Menge Personalwechsel. Geblieben ist die Freundschaft zwischen Dir und Charlie. Was macht die Chemie zwischen Euch aus?
Kerr: Wir haben nie überlegt, was diese Freundschaft ausmacht. Bei vielen Bands, die auf der Konstellation zwischen Gitarrist und Sänger beruhen, ist das eine Sandkastenfreundschaft. Die Rolling Stones sind ein Beispiel, Aerosmith ein anderes. Auch Jim und ich sind zusammen aufgewachsen. Und am meisten überrascht uns, dass wir uns in einigen Sachen so ähnlich sind und in anderen wiederum völlig verschieden. Wir sind beide Koautoren der gleichen, seltsamen Geschichte, an der wir nun schon seit 30 Jahren schreiben (lacht).
Streitet Ihr Euch nie?
Kerr: Oh doch! Und wie! Da fliegen die Fetzen. Aber auch hier gibt es trotzdem witzige Parallelen. Wehe, wenn wir uns streiten, und dann kommt eine dritte Person dazu, die uns auseinander bringen will. Als ob wir uns abgesprochen hätten, gehen wir beide dann auf diese Person los, als müssten wir uns gegenseitig beschützen. Wir sind da wie ein altes Ehepaar!
Haben die Aufnahmen zu "Graffiti Soul" reibungslos geklappt? Normalerweise geht ja immer was schief, jedes Album hat seine Story.
Kerr: Keine Katastrophen, dafür eine sehr angenehme Geschichte. Jeden Abend, wenn sich die Band gegen 21 Uhr zum Abendessen traf, bekam einer der Musiker die freie Wahl sich irgendeinen Song auszusuchen, den wir dann nach dem Essen aus Spaß spielten. Jeder hatte eine halbe Stunde Zeit sich auf seinen Part vorzubereiten. So entstanden eine Menge Cover-Versionen, von denen wir jetzt neun auf der Deluxe-Version von "Graffiti Soul" veröffentlichen werden.
Vor genau 30 Jahren entstand Euer Debüt "Life In A Day". Habt Ihr Euer Jubiläum ausgiebig gefeiert?
Kerr: Um ehrlich zu sein, haben Charlie und ich uns gestritten! (lacht) Wir waren uns nicht einig, ob wir das feiern sollten. Charlie meinte, komm, wir haben 30 Jahre hinter uns, das ist doch was. Ich hielt dagegen: Na und? Die Rolling Stones haben bald 50 Jahre auf dem Buckel, Van Morrison vermutlich noch mehr. Am Ende fanden wir einen Deal: Wir feierten eine kleine Party und spielten dabei "Life In A Day" am Stück live. Das war unser Beitrag zum Jubiläum - für die Fans. Aber das, was danach folgen sollte, war uns wichtiger, nämlich "Graffiti Soul" - das Album, sollte nach einer jungen, energetischen, enthusiastischen Band klingen, neu, frisch und strahlend, nicht wie eine Band, die bereits 30 Jahre unterwegs ist. Das war die Herausforderung, der wir uns gestellt haben. ~ Stefan Woldach (teleschau)
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