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Der traurigste Mensch der Welt?


Tarja Turunen veröffentlicht ihr zweites Soloalbum nach der Trennung von Nightwish

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Der traurigste Mensch der Welt?

Tarja Turunen veröffentlicht ihr zweites Soloalbum nach der Trennung von Nightwish

03.09.2010 Dramatisch geschminkt und mit wallenden Gewändern - so kennt man Tarja Turunen (33) von der Bühne. Zu Interviews erscheint sie beinahe erschreckend normal, ohne Glanz und Gloria. Diesmal sieht sie ein bisschen müde aus und hat fast gar nichts von der "Diva", die sie angeblich sein soll. Diese Unterstellung machte nämlich ihre ehemalige Band Nightwish, die ihr nach neun Jahren gemeinsamer Arbeit auf üble Art per Brief kündigte. Eine Demütigung, vielleicht ein Vergeltungsschlag. Aber das war 2005. Mittlerweile hat die finnische Künstlerin mit der markanten, bebenden Sopranstimme neben vielen Gastauftritten (Doro, Scorpions) ihr zweites Soloalbum aufgenommen: "What Lies Beneath".

Die Songs auf "What Lies Beneath" erwecken den Eindruck, dass Sie eine Distanz zu Ihrer Vergangenheit mit Nightwish geschaffen haben.

Tarja - K

Tarja Turunen: Es war eine lange Reise zu mir selbst. Jetzt fühle ich mich frei. Die Freiheit ist ein wichtiger Aspekt in der Kunst, weil es ja um Reflexion geht. Ich brauchte dafür eine verhältnismäßig lange Zeit, alles wurde von den vielen Touren immer wieder unterbrochen.

Und unterwegs schreiben Sie nicht gerne?

Turunen: Nein, ich muss vorher meinen Kopf sauber kriegen. Wenn ich anhalten und mir Freiräume schaffen konnte, komponierte ich. Aber auf Reisen funktioniert das nicht. Als Sänger kannst du dein Instrument nicht wegstellen, deshalb bin ich, wenn ich Auftritte habe, immer sehr müde. Auf der anderen Seite ist Schreiben immer noch ein Prozess, der mir sehr neu ist. Ich komme da in Babyschritten voran.

Alle achten auf Ihre Stimme, sind Ihnen Texte wichtig?

Tarja - T

Turunen: Sie sind fast das Wichtigste. Zum Beispiel nehme ich oft in meinem Wohnzimmer in Buenos Aires auf. Da ist nichts, außer der Aufgabe, in das Gefühl des Songs hineinzufinden. Ich liebe es, Geschichten zu erzählen, ich mochte das Theatralische immer. Meine Eltern nahmen mich als Kind oft in Musicals mit. Es gab für mich nichts Spannenderes, als dort hinter den Vorhang zu schauen. In bescheidenem Maß jetzt Musik selbst zu erfinden, geht für mich über die Texte.

Leben Sie jetzt komplett in Buenos Aires?

Turunen: Ja, es war meine ganz eigene Entscheidung, obwohl mein Mann von dort stammt. Aber Marcelo war dafür nicht verantwortlich, er ist verrückt nach Finnland. Ich mag zwar das Gerede vom Kosmopolit nicht, aber man sieht im Laufe der Jahre verschiedene Kulturen und begreift die Welt ein wenig mehr. Argentinien ist meine Heimat geworden. Obwohl es sehr laut ist, stimmt mich die Gelassenheit dort heiter.

Sie wohnen doch sicher etwas außerhalb.

Turunen: Nein, mitten in der bunten Stadt (lacht). Jeder Tag ist dort anders, als du ihn planst. Es läuft garantiert nicht so, wie du willst, du musst spontan bleiben und mit Änderungen umgehen. Mein Leben in Finnland war "Zack, Zack, Zack!", alles passierte wie gedacht. Aber ein Künstlerleben ist nicht so.

Tut es Ihnen denn generell gut, jetzt alleine zu arbeiten?

Tarja - L

Turunen: (lange Pause) Als sich die Tür in der Band Nightwish schloss, öffnete sich eine andere. Und das Arbeiten an meinen eigenen Alben ist eigentlich eine stabile Sache, nicht unbedingt ein Kommen und Gehen. Mein Drummer, der Cellospieler und ein Gitarrist sind schon sehr lange dabei. Auch wenn sie professionelle Musiker sind, sind wir eine Gemeinschaft. Ich wage es jetzt mal, sie meine Band zu nennen.

Man kann es also schaffen, mit Ihnen zu arbeiten.

Turunen: Ja, das geht.

Bei Nightwish haben Sie "nur" gesungen. Man hat Sie an einen Platz gesetzt, und den haben Sie dann erst mal neun Jahre ausgefüllt.

Tarja - E

Turunen: Aber dazu hat mich keiner verdonnert! Und es wäre hypothetisch zu sagen, was gewesen wäre, wenn diese Zeit nicht stattgefunden hätte. Vielleicht wäre nicht mal eine Künstlerin aus mir geworden, ich war sehr vertieft in die klassische Musik. In den letzten fünf Jahren aber habe ich so viele Überraschungen und Herausforderungen erlebt, dass ich mich nie über meinen Start mit Nightwish beschweren würde, wenngleich ich natürlich nicht mehr zurückwollte.

Sie sind jemand, der bewusst nach vorne schaut, oder?

Turunen: Herausforderungen anzunehmen, gehört für mich dazu, und ich bin in der Hinsicht sehr mutig. Nur so kommst du vorwärts. Wenn ich eine Oper vor zwei Jahren perfekt singen konnte und es heute nicht mehr so hinbekäme, wäre ich der traurigste Mensch auf der Welt (lacht). Das ist immer noch das kleine Mädchen aus der 500-Seelengemeinde in Finnland ...

... das die Welt erobern will.

Turunen: Ja, genau (lacht).

Warum müssen Sie in allem immer gut und noch besser sein?

Turunen: Es ist in mir drin. Ich muss hart arbeiten, an mein Limit gehen, und weiß trotzdem genug Momente, in denen ich nicht hart genug gearbeitet habe. Die Musik gab mir die Möglichkeit mich auszudrücken. Das geschah bei mir recht spät, in meiner Jugend rebellierte ich nicht, habe höchstens innerlich gekocht. Du begreifst die Dinge nach einigen Jahren neu. Es geschieht alles in Abschnitten, und es gibt verschiedene Schichten in einem Leben. Doch der Sprung ins Unbekannte ist und bleibt gut.

Darunter fällt sicher auch Ihr Auftritt in verschiedenen finnischen Comedy-Serien.

Turunen: Das war großartig. Einmal war ich so eine wilde Revoluzzer-Mama mit einem viel zu lieben Kind, das einfach keinen Unsinn machen will (schüttelt eine imaginäre Person, d. Red.). Ich trug eine blonde Perücke. Vielleicht wäre ich auch Schauspielerin geworden, wenn ich nicht als Musikerin erfolgreich gewesen wäre.

War es vielleicht sogar notwendig, dass Sie ein wenig Leichtigkeit in Ihr Leben gebracht haben?

Turunen: Ich nehme mein Leben sehr ernst, aber Humor - und das glaube ich wirklich - hält dich jung. Ich glaube, ich habe einiges von meiner Mutter. Ihr Tod vor einigen Jahren war ein schwerer Verlust für mich. Wir waren uns sehr nah, und ich habe viel von ihr gelernt. Sie war eine Kämpferin, und ich hoffe, das auch in mir zu tragen. Sie hat immer diese Kraft gehabt - egal, wie schlimm eine Situation war. Ich glaube ohnehin, dass wir Frauen eine naturgegebene Kraft in uns tragen.

Haben Sie eine Vision von sich in - sagen wir mal - zehn Jahren?

Turunen: Ich denke schon drüber nach, eine Mutter zu sein. Das wühlt mich auf und ist wahrscheinlich natürlich. Wenn ich keine Kinder habe, werde ich das vielleicht bereuen. Umgekehrt glaube ich, bereut man es nicht, Kinder zu haben.

Bleibt die Frage nach dem Wann.

Turunen: Es ist jetzt keine besonders gute Zeit, aber mein Mann ist zumindest perfekt dafür. Ich möchte allerdings niemals in die Situation kommen, dass ich zwischen Kind und Karriere wählen müsste. Musik ist auf eine bestimmte Art mein Leben. Und ich würde ungenießbar werden, wenn ich auf sie verzichten müsste. Mein Leben ist durch das Touren heimatlos. Realistisch gedacht wird es spätestens schwierig, wenn das Kind zur Schule geht.

Klingt durchdacht.

Turunen: Du brauchst für ein Kind auch einen guten Plan. Aber ich muss produktiv bleiben, weitermachen, weil ich merke, dass das für mich ein gesunder Weg ist. ~ Claudia Nitsche (teleschau)


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