Der Feind in meiner Band
Bei "No Line On The Horizon" kämpften U2 mit ihrem Status als größte Rockband der Welt - und dem sozialen Engagement ihres Sängers
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Der Feind in meiner Band
Bei "No Line On The Horizon" kämpften U2 mit ihrem Status als größte Rockband der Welt - und dem sozialen Engagement ihres Sängers
27.02.2009 Womöglich hat Produzent Brian Eno, langjähriger Wegbegleiter von U2, ja Recht. In einem Artikel der britischen Tageszeitung "The Guardian" wird der Soundvisionär mit den Worten zitiert, die Langlebigkeit der irischen Band sei darauf zurückzuführen, dass sie nicht aus "komplett selbstsüchtigen Gründen" Musik machten. Dass U2 "tatsächlich daran glauben, dass ihr Tun einem höheren Zweck dient als nur dem, ihre Bankkonten zu füllen". Böse Zungen könnten an dieser Stelle einwenden, dass die Band seit ihrem 1986er-Meisterwerk "The Joshua Tree" von jedem noch so mittelmäßigen Album Millionen von Platten verkauften. Und klar: Eine ähnliche jahrzehntelang treue, weltweite Fanschar können sicherlich sonst nur die Rolling Stones vorweisen. Während jene allerdings nicht mehr an ihrem eigenen Denkmal arbeiten, sondern ihren Legendenstatus nur noch mit riesigen Stadiontouren vergolden, sind U2 mit ihrem eigenen künstlerischen Abbild noch nicht zufrieden. Ihr neues Album "No Line On The Horizon" zeigt eine Band, die weiterhin nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten sucht. Die weniger kreative Spannungen aushalten, sondern viel mehr noch die Popularität und Position ihres Frontmanns verkraften muss.
Nach wie vor scheiden sich an Bono die Geister. Unbestritten ist, dass der U2-Frontmann längst kein gewöhnlicher Rockstar mehr ist. Eher schon eine Person weltweiten öffentlichen Interesses, ein Global Player. Aber ist er nun einfach sozial engagierter Christengutmensch, der seine Popularität zum Wohl der Menschheit nutzt? Der sich mit all seiner Kraft für die Bekämpfung der weltweiten Armut und den Schuldenerlass für die Dritte Welt einsetzt? Oder doch nur ein sich medial perfekt inszenierender Selbstdarsteller, der sich darin gefällt, mit Bill Gates, Oprah Winfrey oder Tony Blair Mittagessen zu gehen? Ein Fünkchen Wahrheit steckt wahrscheinlich in beiden Behauptungen.
Interessanter als Bonos janusköpfiges Image in der Öffentlichkeit sind allerdings die Auswirkungen auf U2 selbst. Denn Bonos Aktivitäten sorgen durchaus auch bei seinen Bandkollegen für Skepsis. Zu Beginn der Aufnahmen zu "No Line On The Horizon" gab Schlagzeuger Larry Mullen im britischen "Guardian" zu Protokoll, dass es gefährlich wäre, wenn "die Leute anfangen, U2 nur noch als Teil der großen Bono-Show wahrzunehmen." Im gleichen Artikel zu Bonos vielfältigen Verpflichtungen und den daraus resultierenden Konsequenzen für die gemeinsame Arbeit befragt, erkannte auch The Edge gewisse Schwierigkeiten an. "Wenn vier Leute zusammenarbeiten, und einer davon ist oft weg, dann vermisst du diese gewisse Chemie, du vermisst seinen Input", so der Gitarrist. "Aber das ist schon in Ordnung. Wir kommen damit klar. Wir funktionieren, weißt du, U2 funktionieren."
Dass dem so ist, liegt vielleicht in der Tatsache begründet, dass die Band eben bereits seit über 30 Jahren in ihrer Urbesetzung existiert. Und daran, dass Bono deswegen sehr wohl die Zweifel seiner langjährigen Freunde kennt. Auf seine politischen und sozialen Aktivitäten angesprochen, räumt der Frontmann ein, dass diese gefährlich für die Band seien. Und er wisse, dass es Zeiten gab, in denen "alle dachten, mein Engagement würde das U2-Schiff zum Sinken bringen".
Nichts dergleichen ist jedoch passiert. Auch wenn sich die Aufnahmen in Marokko, New York, London und ihrer Heimatstadt Dublin in die Länge zogen, der zunächst aufgestellte Zeitplan nicht eingehalten wurde, rauften sich U2 für "No Line On The Horizon" zusammen. Vielleicht sogar enger denn je. Damit ließen sich die musikalische Offenheit, die deutliche Spielfreude und der Mut zu klanglichen Experimenten erklären, die das Album auszeichnet. Und sogar Schlagzeuger Larry Mullen, der um seine Abneigung gegen die experimentelle Phase der Band in den 90-ern nie einen Hehl machte, scheint dieses Mal mehr als zufrieden mit dem Ergebnis zu sein. Wie die anderen Bandmitglieder auch, empfand er vor allem die ersten Sessions im marokkanischen Fez als Befreiung: "Dort lief alles so, wie ich es mir mit U2 schon immer vorgestellt hatte: Einfach aus Freude an der Musik drauflos spielen, ohne gleich an das Ende zu denken. Das war manchmal zwar chaotisch, aber doch ein kreatives Chaos."
Klar, U2 können sich solch ein mehr oder weniger (zeit)planloses Vorgehen erlauben. Ihre Fans über vier Jahre lang auf neues Material warten lassen. Bereits aufgenommene Sessions mit Starproduzent Rick Rubin komplett verwerfen. Noch Anfang Dezember 2008 - in allerletzter Minute - Songs neu einsingen. Augenscheinlich wollen sie das aber gar nicht. Aus den wenigen Interviews, die die Band zu "No Line On The Horizon" gab, spricht immer wieder ihre Suche nach neuen Herausforderungen, nach dem bestmöglichen Ergebnis. Der größte Feind der Band sei auch nach 30 Jahren immer noch die Band selbst: "Das größte Hindernis auf unserem Weg sahen wir immer in uns und unseren begrenzten Möglichkeiten", so Bono. "Die Frage war immer, können wir noch besser sein? Können wir den Song, die Show noch besser machen?" An Sätzen wie diesen mögen sich dann auch wieder die Geister scheiden: Ist Bono doch ein selbstverliebter, narzisstischer Rockstar? Oder ein Kreativer, gar ein Getriebener? Sicher ist nur: Mit "No Line On The Horizon" sind U2 auch musikalisch wieder relevant. Und noch lange nicht die Rolling Stones. ~ Stefan Weber (teleschau)
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